Welche Regelungen gelten bei Riesenpostern an Mietshäusern?
In den letzten Jahren prägen sie das Berliner Stadtbild immer mehr: Riesige Werbeplakate, die an eingerüsteten Mietshäusern angebracht sind. Was für Hauseigentümer*innen finanziell lohnend ist, führt für Mieter*innen Tag und Nacht zu enormen Einschränkungen der Lebensqualität. Doch welche Regeln bestehen für solche Riesenposter und was für Rechte haben Mieter*innen?
Im April 2020, während der Corona-Krise, wandte sich der „Shell“-Konzern an die Charlottenburger Öffentlichkeit: „Wir sagen danke!“ hieß es auf einer riesigen gelben Plane. „Allen Helfern und unseren Teams an den Tankstellen, die dazu beitragen, die Krise zu bewältigen.“
Angebracht war die Plane am Eckhaus Kaiserdamm 109, an dessen Fassaden zwei weitere „Shell“-Werbebotschaften prangten – das Gebäude war komplett verhüllt. Für die Mieter*innen im Haus kam die Kampagne einer doppelten Plage gleich. Tagsüber mussten sie das Licht anknipsen, weil ihre Wohnungen verdunkelt waren, nachts konnten sie nicht schlafen, weil solche „Riesenposter“ genannten Werbeflächen mit Flutlichtscheinwerfern beleuchtet werden.
Die Riesenposter anzubringen war möglich, weil zu diesem Zeitpunkt ein Gerüst wegen Fassadenarbeiten vor dem Haus stand. Im März hatte bereits ein Poster für einen Carsharing-Anbieter geworben, gegen das die Mieter*innen bei der Hausverwaltung und beim grünen Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Oliver Schruoeffeneger, protestiert hatten.
Dem Baustadtrat zufolge hätte das „Shell“-Poster nicht mehr aufgehängt werden dürfen. Die maximal sechsmonatige Genehmigung durch das Bezirksamt sei zu diesem Zeitpunkt abgelaufen gewesen, sagte er unter anderem dem „Tagesspiegel“.
Werbeplakate müssen genehmigt sein.
Die Genehmigung für „Anlagen der Außenwerbung“ regelt die Bauordnung Berlin. In § 10 definiert sie, was zu den sogenannten Werbeanlagen zählt, beispielsweise Schilder und Beschriftungen, Säulen und Tafeln.
Für Baugerüste gilt seit 2010: „Baugerüste dürfen für Werbeanlagen höchstens für die Dauer von sechs Monaten genutzt werden.“ Ausnahmen sind nach § 61 „Werbeanlagen mit einer Ansichtsfläche bis zu 1 m², an der Stätte der Leistung bis zu 2,50 m²“. Kleine Werbeplakate sind also so lange erlaubt, wie das Gerüst steht, genauso größere bis zu zweieinhalb Quadratmetern. Die darf nur anbringen, wer an der Baustelle wirkt – die Gerüstbaufirma zum Beispiel.
So seltsam es auch klingen mag: Mit der Sechs-Monate-Regelung hat sich die Situation von Mieter*innen verbessert. Von 2005 bis 2010 gab es überhaupt keine Einschränkung. Im Prinzip konnte ein Gerüst für Werbung genutzt werden, so lange es stand.
Aber auch für ein halbes Jahr lohnt sich ein Werbeplakat für Hauseigentümer*innen. Je nachdem, in welcher Lage sich das Haus befindet, können sie die eingerüstete Fassade für mehr oder weniger Geld vermieten. Dafür schließen sie Verträge mit Agenturen ab, die diese Flächen an ihre Kunden vermitteln. Laut einem Bericht der „Immobilienzeitung“ suchen Agenturen auch selbst nach Fassaden, die sie gern als Werbefläche anbieten möchten. Sie arbeiten mit Maler- und Gerüstbaubetrieben zusammen und bieten den Hauseigentümer*innen ein „Rundum-Paket“ an.
Mieter*innen können sich gewöhnlich nicht dagegen wehren, dass ihr Haus eingerüstet wird und ein Netz oder ein bedrucktes Netz vor ihren Fenstern hängt. So eine Art Netz oder Vorhang ist oft notwendig und in den meisten Fällen, wenn an Fassaden gearbeitet wird, Vorschrift. Eine leichte Mietminderung ist dann zulässig. Dazu sollten Mieter*innen ihrem Vermieter mitteilen, dass sie die Miete ab sofort unter Vorbehalt zahlen. Wie bei jeder möglichen Mietminderung sollten sie sich jedoch unbedingt auch rechtlich von Fachanwält*innen oder seriösen Mieter*innenorganisationen beraten lassen: Wer seine Mietzahlung eigenmächtig kürzt, riskiert die fristlose Kündigung.
Im Fall Kaiserdamm 109 protestierten die Mieter*innen zunächst erfolgreich gegen das Riesenposter vor ihren Fenstern. Nachdem der „Tagesspiegel“ über ihren Fall berichtet hatte und ein Foto einer verdunkelten Wohnung auf Twitter kursierte, sah „Shell“ das Image gefährdet und ließ das Poster entfernen. Man habe niemanden verärgern wollen, sagte eine Sprecherin, auch nicht die Mieter des Hauses.
Das Schutznetz, das daraufhin vor den Fenstern der Mieter*innen angebracht wurde, war pechschwarz. Im Juli genehmigte das Bezirksamt ein weiteres Riesenposter – die Mieter*innen am Kaiserdamm lebten nun hinter einer vorwiegend roten Werbebotschaft der Discounter-Kette „Aldi“.
Das Problem der Fassadenwerbung ist lösbar. Ein erster Vorstoß wäre eine Initiative von Mieter*innen, die Bauordnung Berlin zu ändern und zum Beispiel zu fordern, die Lichtdurchlässigkeit von Schutznetzen zu regeln. Wäre außerdem in § 10 geregelt, dass die enorme Belastung der Mieter*innen durch Flutlichtstrahler ausbleibt, wäre schon viel gewonnen. Die Bauordnung Berlin benötigt hierfür nur ein einziges, zusätzliches Wort: „Baugerüste dürfen für Werbeanlagen höchstens für die Dauer von sechs Monaten und unbeleuchtet genutzt werden.“
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