„Wie können wir an der Stadtentwicklung teilhaben?“

Hearing der wohnungspolitischen Initiativen zum Thema Beteiligungsverfahren am 13. November 2019 im Berliner Abgeordnetenhaus, Raum 311, 18 bis 21 Uhr

Begrüßung

Rouzbeh Taheri vom Initiativenforum Stadtpolitik Berlin begrüßt die Anwesenden.
Auf dem zweiten Hearing des Forums stellen Aktive aus Initiativen Projekte und Ideen vor und diskutieren sie mit Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung.

Die gesamte Veranstaltung wird aufgezeichnet. Wer im Film nicht zu sehen sein möchte, wird gebeten sich mit dem Rücken zur Kamera zu setzen. 

Einleitung: Sanierungsgebiete in Berlin

Unterstützt durch eine Power-Point-Präsentation, leitet Rouzbeh Taheri das Thema mit einigen Eckdaten ein: Aktuell gibt es acht Sanierungsgebiete in Berlin, in denen ca. 70.000 Menschen wohnen. Die städtebauliche Erneuerung diene dazu, das bauliche Erbe zu erhalten und Wohn- sowie Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Ausgestaltung regele § 136 BauGB. Es gelte stets, öffentliche und private Belange gegeneinander und gerecht abzuwägen.

Als letztes Sanierungsgebiet kam vor zwei Jahren noch der sogenannte Rathausblock hinzu, das letzte und inzwischen einzige Sanierungsgebiet, das komplett dem Land Berlin gehört. Der Grund und Boden der anderen Sanierungsgebiete sei größtenteils in Privatbesitz. Leider sei die Website nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Er regt an, diese Information weiterzuleiten.  

Aktive Bürgerbeteiligung zeige sich vor allem an der Sonnenallee, am längsten sei Küstner damit beschäftigt. Die Stadtpolitik nehme sich des Themas kaum an, Gelder müssten von der Verwaltung beantragt werden. Dabei sollten Sanierungsgebiete ähnlich wie Verkehrsberuhigungsgebiete behandelt werden. Immer wieder stellten sich die Fragen, welche Rolle soziale Faktoren spielten und wie Demokratie umgesetzt werde. In den Bezirken sei die Lage zudem sehr unterschiedlich. Eine bessere Vernetzung sei daher vorteilhaft. Die Ehrenamtlichen könnten sich auf diese Weise besser kennenlernen und austauschen. Zwei Themenkomplexe erforderten in Sanierungsgebieten besondere Beachtung: die Entwicklung der Mieten und die unübersichtliche Förderkulisse.

Katastrophale Entwicklung der Mieten

Im Neuköllner Sanierungsgebiet sei die Mietenentwicklung mit einer Steigerung von 150 Prozent besonders katastrophal verlaufen. Eine größere Mietensteigerung habe es in ganz Berlin nicht gegeben und die Verdrängung in den Jahren 2009 bis 2014 sei eine der Folgen gewesen. Ein Sanierungsgebiet wirke wie ein Magnet auf die Immobilienwirtschaft. Sie könne sich selbst fördern lassen und profitiere noch dazu von der Aufwertung drum herum. So werde um privates Kapital geworben. Durch diese Konzentration in den Sanierungsgebieten und die Aufwertung ganzer Straßenzüge entstehe ein Schneeballeffekt, der sich auch auf den Mietspiegel auswirke.

Undurchschaubare Förderbedingungen

Die Förderkulisse sei unübersichtlich. Die vom Bund geförderten Aktiven Zentren überschneiden sich teils mit Sanierungsgebieten. Für die Bezirke und Aktive seien Förderbedingungen und Zuständigkeiten oft undurchschaubar und würden zudem immer wieder verlagert. In Neukölln beispielsweise überlagerten sich das Quartiersmanagement, Aktive Zentren, Milieuschutz, das Sanierungsgebiet und Zukunft Stadtgrün. Es sei weder ein roter Faden erkennbar noch wann was wirke, wer welche Rechte habe, wie die paritätische Besetzung/Mitbestimmung sei. Weitere Mittel kämen vom städtebaulichen Denkmalschutz, für die aber völlig andere Förderbedingungen gelten. Lotsen durch die vielen verschiedenen Programme seien dringend erforderlich.

Etwa 75 Prozent der Mieter*innen wissen nicht, dass sie in einem Sanierungsgebiet wohnen

Die gesetzlichen Grundlagen der und der Einbeziehung der Betroffenen sind in § 137 BauGB festgeschrieben. In der Südlichen Friedrichstadt in Kreuzberg sei die Bürger*innenbeteiligung eingehalten worden. Je nach Gebiet gebe es unterschiedliche Beteiligungsforen, etwa wie in Lichtenberg oder für den Rathausblock.

In der Sonnenallee sei die Situation eine andere: Etwa 75 Prozent der Betroffenen wüssten noch nicht einmal, dass sie in einem Sanierungsgebiet wohnen. Der Fokus richte sich stattdessen auf die Interessen der Eigentümer*innen. So gebe es viel Engagement für energetische Fassadengestaltung, doch weder die Mieter*innen noch ökologische Fragen oder der Bedarf würden dabei berücksichtigt. Im Gegensatz zu früheren Jahren, als ein Ziel der Stadtentwicklung gewesen war, dass die Einwohner*innen in ihrem Gebiet blieben, sei das heute nicht mehr gewährleistet oder hundertprozentig angestrebt. Zur Bevölkerung zählten ohnehin auch neu Zugezogene, etwa Studenten, die gerade zwei Jahre dort wohnten. 

Beim anvisierten Karstadt-Neubau gehe es ebenso um das Image und das Werben um die Immobilienwirtschaft. Dazu würden beispielsweise Stadtteiltouren für Immobilienbesitzer*innen und Makler*innen veranstaltet. 

Sowohl die Beteiligung als auch Probleme und Prioritäten seien in jedem Bezirk sehr unterschiedlich. Auf den Stelltafeln sollen Überlegungen, Vorschläge und Schwierigkeiten gesammelt werden. 

Vorschläge für eine bessere Bürger*innenbeteiligung

Daniela Konrad, eine Anwohnerin im Gebiet der Sonnenallee, schildert, wie der Bürger*innenbeteiligung in Mitte der Weg geebnet wird. Dort könne man sich online über geplante Projekte informieren. Neben den jeweiligen Ansprechpartner*innen und ihren Kontaktdaten würde auch mitgeteilt, wer ein Projekt finanziere. Für Neukölln sei ein solches Portal nicht vorgesehen, denn Bürgermeister Hikel sei der Meinung, dass in der Bevölkerung kein Interesse bestehe. Doch sollte es eine einheitliche Plattform für ganz Berlin geben, auf der Anwohner*innen sich informieren können, wo was passiere. Manche Informationen fänden sich schon auf meinBerlin. Eine Zeitung als Hauswurfsendung sei denkbar. Ihre Hausgemeinschaft habe erst beim Verkauf des Hauses erfahren, dass es im Sanierungsgebiet liege. Der Fokus sollte auf die Bedürfnisse der Anwohner*innen gerichtet werden, bei Beteiligungsverfahren die Mieter*innen in der Mehrzahl sein. Das sei bislang nicht so geregelt. Es sei wünschenswert, dass die Bezirke das Beteiligungsverfahren als Bereicherung betrachteten, nicht als lästige Pflicht.

Susanna Kahlefeld, Bündnis 90/Die Grünen, weist darauf hin, dass das Problem der Verdrängung viel früher begonnen habe. Weggezogen seien alle, die sich das irgendwie hätten leisten können, weil sie ihre Kinder nicht im Bezirk hätten zur Schule schicken wollen. Dann seien immer mehr Immobilien – sogar unbesehen – von internationalem Kapital gekauft worden. Gleichzeitig habe die SPD den Standpunkt vertreten, dass das Neuköllner Milieu nicht schützenswert sei. Mit den Linken habe sie sich, noch in der BVV, gegen großen Widerstand für den Milieuschutz in Nordneukölln eingesetzt. Erfolgreich seien sie erst spät gewesen, nämlich nach dem Antritt von Hikel. Weil sie in der Sonnenallee wohne, habe sie genug Erfahrung mit dem grauenhaften Gremium gesammelt. Nach wie vor sei es extrem schwierig, aber dass es anders gehe, sehe man in Mitte. 

Publikum: Berlinweit seien Anlaufstellen geplant, ab 2022 in der Torstraße (S. 6). Räumliche Planungen in Sanierungsgebieten müssten auf Bezirksebene abgestimmt werden.  Es sei schwer, für alle Bezirke gleiche Verhältnisse zu schaffen, weil die Bezirke Bürger*innenbeteiligung sehr unterschiedlich handhaben würden und auch die Einwohnerschaft kaum vergleichbar sei. Gleichwohl müsse die Bürger*innenbeteiligung dringend Thema im Beteiligungsausschuss in Neukölln sein. Da müsse Bewegung reinkommen. Er habe mit Katrin Lompscher gesprochen, die das Thema auch angenommen habe und das Gespräch suche.

Susanna Kahlefeld wird auf die Rodung des Weigandufers angesprochen: Auf die Bitte um Unterstützung gegen die Planung habe sie nie reagiert, sodass der Eindruck entstanden sei, dass Bürger*innenbeteiligung nicht erwünscht sei. 

Susanna Kahlefeld erklärt, dass sie sehr viele Briefe zu dem Thema erhalten habe und sie Zuschriften nicht mit Serienbriefe beantworte. Der Brief sei wohl einfach durchgerutscht. Keinesfalls stehe Absicht hinter der Nichtbeantwortung. 

Rouzbeh Taheri resümiert, dass die Resonanz der politischen Vertreter*innen auf Bürger*innenbeteiligung sehr unterschiedlich sei und berlinweit keine Einheitlichkeit im Verfahren bestehe. Umso wichtiger sei es, minimale Strukturen einzuführen. Das zu erreichen wäre schon ein großer Schritt.

Kritik am Stadtteilausschuss Turmstraße

Ein ehemaliges Mitglied des Stadtteilausschusses Turmstraße kritisiert diesen scharf. Intransparent sei schon gewesen, wie überhaupt seine Besetzung zustande gekommen sei. SPD-Leute hätten das Gremium gewissermaßen gekapert, in der dritten Periode sei die SPD nicht mehr vertreten gewesen, in der vierten Periode hätten Grüne, Linke und andere dominiert. Insgesamt habe es sich mehr um ein Feigenblatt gehandelt. Der Einzelhandel habe kaum Mitwirkungsmöglichkeiten gehabt, obwohl es viel Leerstand von Gewerbeflächen gebe und eine große Unzufriedenheit mit dem Shoppingcenter. Darüber hinaus habe die Abholzung der Bäume für Ärger gesorgt. Die Bürger*innen hätten nichts erreicht, nun, nach 16 Jahren, sei Schluss. Daraus folge unter anderem, dass Mitglieder von Parteien sich als solche zu erkennen geben müssten, damit klar sei, wer welche Interessen vertritt. Alle wichtigen Fördervorhaben gehörten auf den Prüfstand. In Neukölln müssten wohl ziemlich viele Leute ausgewechselt werden, denn der Bezirk reagiere oft autistisch. Druck entstehe nur bei Fördermitteln, die vom Bund kämen, dabei müssten die Leiter von Stadtplanungs- und Grünflächenamt viel öfter gefordert werden. 

Als weiteres Problemfeld wird thematisiert, dass zu viele Stadtentwicklungsprozesse in Sanierungsgebieten privatisiert und Büros damit beauftragt würden.

Noch kein Meilenstein erreicht

Katalin Gennburg von der Linken begrüßt das Format dieses Forums. Das Thema Sanierungsgebiete sei ziemlich eingeschlafen und die Koalition habe noch keinen großen Meilenstein auf diesem Weg erreicht. Wie solle damit umgegangen werden? Wie könnte der Milieuschutz mit den Sanierungsgebieten gekoppelt sein? Wie könnten alte Erfahrungen der Linken einfließen? In den 90er- und den 00er-Jahren seien die Sanierungsgebiete genutzt worden, um Investoren anzuziehen, daher wäre es gut, zusätzliche Ansätze für Bürgerbeteiligung zu schaffen. Das müsse in einem ordentlichen Prozess geschehen, in den die Erfahrungen einfließen.

Aus Schöneweide bringt sie das Beispiel, dass dort ein toller Spielplatz angelegt worden sei, der jetzt abgerissen werden soll, weil er kaputt sei. Es gelte, an die Orte konkreter Probleme zu gehen.

Sanierungsbeirat für den Rathausblock

Rouzbeh Taheri spricht den Rathausblock an. Auf dieser Fläche gebe es keine private Beteiligung, das sei eine Neuheit in Berlin und daher ein spezielles Thema.

Das Areal mit rund 1.000 Bewohner*innen sei in der Tat nicht vergleichbar, stimmt Enrico Schönberg von der Initiative „Stadt von unten“ zu. Fortis habe zwei Käufe getätigt. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei erwogen worden, doch schwer zu begründen gewesen. Es habe viele Konflikte gegeben, gemeinsam an einem Tisch zusammenzukommen sei erzwungen worden. Nun gebe es einen Sanierungsbeirat, der mit Vertreter*innen der LWU und Mieter*innen besetzt sei. Die Einhaltung von Grundrechten, Transparenz und Weiterentwicklung von korporativer Stadtentwicklung seien ebenso Ziele gewesen wie mehr Möglichkeiten auszuformulieren und nicht nur die Pflichten zu betonen. In Einzelschritten seien weitreichende Beteiligungen der Zivilgesellschaft erstritten worden, ebenfalls – im Zusammenhang mit der Bebauung des Dragonerareals – eine Untersuchung von Kreuzberg-West. Es gelte, eine Betroffenenvertretung stets sofort einzuplanen, nämlich schon bei der Beantragung der Fördermittel. Der Plan, wie der Senat an diesen Komplex herangehe, sei gut, entsprechende Schritte in der Zivilgesellschaft würden unternommen.

Tom Küstner ergänzt, dass fürs Dragonerareal eine 30-seitige detaillierte  Kooperationsvereinbarung geschlossen worden sei, die alle Zuständigkeiten kläre. Inzwischen sei die Politik des Senats progressiver als in manchen Bezirken. Die Frage stelle sich, welchen politischen Willen zur Gestaltung es gebe. Darüber hinaus kollidierten oft der Milieuschutz und die Förderung der energetischen Fassadensanierung. Vertrauen zerstörten auch Antworten wie aus Neukölln. Auf die Beschwerde, dass Büsche und Bänke verschwinden sollten, habe es geheißen: „Wir sanieren hier nicht für Altneuköllner, sondern für Neuneuköllner.“

Auch hinsichtlich der Verbindlichkeit blieben Fragen offen. Was passiere mit den Ergebnissen aus der Bürgerbeteiligung? Gebe es Mindestanforderungen? Wie sei der politische Charakter solcher Verfahren?

Großer Handlungsspielraum für die Bezirke

Gaby Gottwald von der Linken hat herausgehört, dass Sanierungsgebiete per se als Problem wahrgenommen werden, weil Mietsteigerungen und all die anderen Begleiterscheinungen womöglich kaum zu verhindern seien. Und wie solle die Einordnung stattfinden? Auf Landes- oder auf Bezirksebene?

Es wird eingebracht, dass das Ganze mehr Öffentlichkeit brauche. Der Eindruck besteht, dass die Aufmerksamkeit schnell verpuffe und dann jeder durchziehen könne, was er wolle. Es sei nicht jeder Bezirk wie Kreuzberg. Mieter- und Umweltverbände seien auch nicht ständig aktiv, daher sei in manchen Bezirken „Totentanz“, auch wenn immer wieder versucht werde, Leute zu aktivieren. Es sollten auch mal andere Gebiete in die Förderung kommen, vielleicht jeweils dann nicht so lang, aber auch nicht nach dem Gießkannenprinzip.

Magnus Hengge weist auf LokalBau in Friedrichshain-Kreuzberg hin. Hier fänden die Vorbereitungen zur Planung statt, auch die Anwendung/Umsetzung in Sanierungsgebieten. Gaby Gottwald antwortet er, dass viel davon abhänge, wie die jeweilige Handhabung in den Bezirken aussehe. Sie hätten einen großen Handlungsspielraum. LokalBau und das Dragonerareal gebe es nicht umsonst in Kreuzberg: nach großen Protesten und aufgrund einer klaren Politik des Bezirks hin zur Gemeinwohlorientierung und unter Einbeziehung von Akteuren wie dem Mietshäusersyndikat. Wichtig sei, so früh wie möglich den Prozess zu beginnen. Zu oft beginne die Beteiligung erst, wenn alles geplant sei. Je früher die Beteiligung beginne, desto mehr Einflussnahme sei möglich, das sei der Schlüssel. Die kooperative Arbeit, die Bürgerbeteiligung, müsse vor Beginn der Ausschreibung einsetzen. Was die Beauftragung privater Planungsbüros betreffe, gebe es auch hier einen Spielraum für die Politik: Sein Büro sei auch privat, folge aber keinerlei neoliberalen Ansätzen, sondern habe eine klare Zielsetzung in einem Manifest niedergeschrieben.

Tom Küstner erwidert auf Gaby Gottschalk, dass das Dragonerareal eine sehr gute Entwicklung nehme. Dem Bundesfinanzministerium sei von einem großen Bündnis aus Stadtgesellschaft und Bezirk klargemacht worden, dass ein privater Investor nicht infrage komme. Hier werde das Baurecht von Stadt und Initiativen positiv genutzt. In Neukölln allerdings laufe das komplett anders. Vor fünfzehn Jahren hätte die SPD entscheiden können, Nordneukölln zu kaufen, doch Strieder und Sarrazin hätten sich für einen anderen Weg entschieden. Der Run auf Immobilien lasse nun aber bis heute nicht nach. Bei Nettokaltmieten von 25 €/Quadratmeter in Nordneukölln und 30 € am Tempelhofer Feld sollten Investitionen nicht mehr steuerlich begünstigt werden. 

Den Fond für Initiativen öffnen

Timo Schramm (SPD Neukölln): Die Sanierungsverordnungen kommen vom Senat, nicht von den Bezirken. Die Politik bewege sich inzwischen weg von der Aufwertung, hin zum Schutz der Mieter. Auch für sie gehe es um Aufwertung, aber die Frage sei immer, wer letzten Endes davon profitiere. Mittel schafften auch Freiheiten, es sei nur die Frage, wer sie in Anspruch nehme. Denkbar wäre, den Fonds für Eigentümer auch für Initiativen zu öffnen. Bundesmittel für Denkmalschutz gebe es auch. Es gelte, den Iststand zu betrachten und für wen man was tun wolle. Das Dragonerareal sei gut aufgestellt gewesen im Kampf gegen Privatinvestoren, da sei man schon einen Schritt weiter.

Timo Schramm: Die Frage sei allerdings auch, was Aufwertung bedeute. Fassadensanierung? Lebensqualität? Gewerbe?

Im Zusammenhang mit LokalBau wird die Frage nach Interessenkonflikten in Hinblick auf private Träger gestellt.

Um sich einen Eindruck zu verschaffen, dass es für Sanierungsgebiete auch ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten gibt, empfiehlt ein langjähriger Aktivist den Blick zurück in die 80er-Jahre: Damals wurden jene Viertel zu Sanierungsgebieten erklärt, die den größten Bedarf an Förderung hatten. Mieter*innenschutz, Bauaufsicht und Lokalpolitik standen in engmaschigem Kontakt, sodass Verstöße unmittelbar sanktioniert werden konnten und die Mieter*innen extrem gut geschützt waren. Von diesen Konzepten sei in den heutigen Sanierungsgebieten nichts mehr übrig geblieben, genauso wenig im Städtebau und in Fördergebieten. Der Senat habe seine Einflussnahme aufgegeben. Früher seien Förderungen auch privat vergeben worden, und die Kontrolle sei sehr viel besser gewesen, es sei vor Ort überprüft worden. Später sei es nicht mehr um Sanierung oder um die Planung für einen Stadtteil gegangen, sondern nur noch ums Chicmachen und um kleine Bonbons. Die Bürgerbeteiligung müsste reguliert werden. 

Verdrängung von Obdachlosen aus Sanierungsgebieten

Ein weiteres Problem betreffe die Wohnungslosen, erklärt eine Aktive. Für Wohnungslose sei in Sanierungsgebieten kein Platz mehr. Für sie sei mittlerweile ganz Berlin Sanierungsgebiet. Zudem schliefen überall Obdachlose – irgendwo müssten sie schließlich bleiben. Im Winter sei der Aktionismus stets groß, aber die Problematik sollte auch mal im Frühjahr thematisiert werden, um einen langfristigen Plan zu erarbeiten. Die angebotenen Schlafplätze würden nicht alle in Anspruch nehmen, etwa weil sie Angst vor Diebstählen haben oder Hunde nicht mitnehmen dürfen. Ein Sanierungsgebiet sollte auch einen sozialen Aufbau haben und Leute, die aus dem System gefallen sind, wieder auffangen. Der Beitrag wird mit großer Zustimmung aufgenommen.

Susanna Kahlefeld, die keine Stadtplanerin ist und im Sanierungsgebiet Neukölln Erfahrungen als Bürgerin macht, weist darauf hin, dass die Gestaltung der Karl-Marx-Straße seinerzeit nicht für Investoren geplant worden sei, sondern für die Menschen, die sich den Wegzug nicht leisten konnten, aber trotzdem ein besseres Wohnumfeld verdient haben. Erst jetzt würden die Maßnahmen als Einladung an Investoren gesehen. Viele Häuser gehörten Einzelpersonen, die ihre Gewerberäume nach ihren eigenen Vorstellungen vermieteten. Das sollte aber kein Grund sein, eine Straße nicht bewohnbar zu machen. Was fehle, seien Steuerungsmechanismen, damit die Leute, für die all das geschehe, nicht wegziehen müssen. Keineswegs sei zu erwarten, dass Investionen in Immobilien zurückgingen, wenn es keine Sanierungsgebiete mehr gebe. 

Das Weigandufer wird noch mal angesprochen: Es sei katastrophal, was dort passiere. Die angeblich ökologische Umgestaltung der Grünflächen sei weder ökologisch noch gewollt. Es müsse immer Bürgerbeteiligung geben. Darüber hinaus sei wichtig zu erfahren, dass die Interventionen der Bürger*innen gehört werden. Andernfalls gebe es Spaltung und Gewalt, so gehe es nicht weiter. 

Leitlinien für die Beauftragung privater Firmen

Auch die problematische Privatisierung der Stadtentwicklung wird ein weiteres Mal aufgegriffen. Auch wenn die Träger die „Guten“ sind, sei die Auslagerung nicht wünschenswert. Auf der anderen Seite sitze eine Verwaltung, die unkooperativ sei und sogar lüge. Es sollte eine Umkehr geben und Stadtentwicklung wieder an verantwortlicher öffentlicher Stelle angesiedelt werden. Das, wird ergänzt, solle mit frühzeitiger Einbindung und Verbindlichkeit einhergehen. Schon in der Kita würden als Grundpfeiler der Beteiligung Transparenz und Verbindlichkeit vermittelt. Für Kinder und Jugendliche sei Partizipation schon einklagbar. Das sollte für Erwachsene vielleicht auch gelten. Zudem könne die Politik es sich nicht leisten, all das erarbeitete Wissen von Initiativen zu ignorieren.

Zur Privatisierung von Bereichen der Stadtentwicklung erklärt Magnus Hengge, dass die Beauftragung privater Firmen sowohl die Gefahr des Drehtüreffekts berge als auch der Vorteilsnahme. Es biete sich daher an, Leitlinien zu entwickeln, sowohl auf Landes- wie auf Bezirksebene. Eine kritische Haltung gegenüber privaten Trägern sei auf jeden Fall angebracht. In Kreuzberg eruierten sie, wie viele Aktive tatsächlich eingebunden sind. Im Quartiersmanagement seien viele Leute aus der Wirtschaftsförderung präsent, obwohl Aktive die bessere Wahl wären. Nur: wie könnte es gelingen, die Zivilgesellschaft stärker einzuspannen, zu befähigen und zu profilieren? 

Dragonerareal als Vorbild

Bevor es Zeit für das Schlusswort ist, werden alle aufgefordert ihre Wünsche zu äußern. 

Tom Küstner bedauert, dass nicht klar ist, wie es weitergehen soll. Das Dragonerareal sei das einzige Quartier mit einer guten Entwicklung, es soll 100 Prozent leistbare Mieten haben. Wenn in Neukölln eine solche Kooperationsvereinbarung zustande käme, wäre das ein Fortschritt. Er bedankt sich für die Anfrage von Hendrikje Klein, die sehr viel gebracht habe. Ein Problem sei noch immer die Umsetzung auf Bezirksebene. Dem schließen sich auch andere an. 

Rouzbeh Taheri informiert, dass am folgenden Tag die BVV in Neukölln das Thema Bürgerbeteiligung auf der Tagesordnung haben wird. Der Prozess zur Schaffung von Leitlinien werde angestoßen. Auf Landesebene sollten einheitliche Standards für Sanierungsgebiete gelten. Mittels einer neuen Ausführungsvorschrift soll die frühe Kooperation mit den Bürger*innen in die Wege geleitet und Verbindlichkeit festgeschrieben werden. Es sei wünschenswert, den Beteiligten auf Augenhöhe zu begegnen. 

In einigen Monaten soll sich eine kleine Runde zur Auswertung der neuen Prozesse zusammensetzen.

Er dankt den Abgeordneten für ihr Kommen.

Protokoll: Karin Schneider