Städtebauliche Missstände zu beheben, ist das Ziel von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen. Sie dienen dem Wohl der Allgemeinheit, heißt es im Baugesetzbuch. Doch die Bürger*innenbeteiligung in Sanierungsgebieten ist von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich organisiert und beginnt oft zu spät.

Etwa 40 Teilnehmer*innen aus fünf Sanierungsgebieten und verschiedenen Initiativen hatten sich am 13. November 2019 beim zweiten Hearing des Initiativenforums Stadtpolitik Berlin im Abgeordnetenhaus eingefunden. Zum Thema „Sanierungsgebiete und Bürger*innenbeteiligung“ sprachen sie vor Katalin Gennburg (Sprecherin für Stadtentwicklung, Tourismus und Smart City von der Linken), Gaby Gottwald (Mitglied im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen, Die Linke), Susanna Kahlefeld, (Sprecherin für Partizipation und Beteiligung, Bündnis 90/Die Grünen) und Timo Schramm (SPD Neukölln).

Moderator Rouzbeh Taheri eröffnete die Anhörung mit einem Überblick. „Aktuell gibt es acht Sanierungsgebiete in Berlin, in denen ca. 70.000 Menschen wohnen“, sagte er und fasste zusammen, welche Ziele der Staat mit städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen verfolgt, die das Baugesetzbuch in § 136 regelt: Die städtebauliche Erneuerung diene dazu, das bauliche Erbe zu erhalten und Wohn- sowie Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es gelte stets, öffentliche und private Belange gegeneinander und gerecht abzuwägen.

Sanierungsgebiete als Magnet für die Immobilienwirtschaft

Wie schwierig das ist, zeigte der Vortrag von Tom Küstner vom Beteiligungsgremium Sonnenallee über das gleichnamige Sanierungsgebiet. Hier, so Küstner, sei die Mietenentwicklung mit einer Steigerung von 150 Prozent besonders katastrophal verlaufen. „Eine größere Mietensteigerung hat es in ganz Berlin nicht gegeben“, sagte er. „Die Verdrängung in den Jahren 2009 bis 2014 war eine der Folgen.“ Ein Sanierungsgebiet wirke wie ein Magnet auf die Immobilienwirtschaft. Sie könne sich fördern lassen und profitiere noch dazu von der Aufwertung der umliegenden Gebiete.

Küstner kritisierte die Instrumente der Stadtentwicklung. „Die Förderkulisse ist unübersichtlich.“ Das vom Bund geförderte Städtebauförderprogramm „Aktive Zentren“, mit dem Geschäftsstraßen wirtschaftlich entwickelt werden sollen,  überschneide sich teilweise mit Sanierungsgebieten. In Neukölln überlagerten sich das Quartiersmanagement, Aktive Zentren, Milieuschutz, das Sanierungsgebiet und Zukunft Stadtgrün. Es sei weder ein roter Faden erkennbar, noch wann was wirke und wer welche Rechte besitze. Lotsen durch die vielen verschiedenen Programme seien dringend erforderlich.

Anwohner*innen in Mitte besser informiert als in Neukölln

Auch Daniela Konrad, Anwohnerin der Sonnenallee, bemängelte die Informationspolitik Neuköllns. Ihre Hausgemeinschaft habe erst beim Verkauf des Hauses erfahren, dass es im Sanierungsgebiet liegt. Konrad verglich, wie die Bezirke Mitte und Neukölln mit der Bürger*innenbeteiligung umgehen. „In Mitte kann man sich online über geplante Projekte informieren. Die Ansprechpartner*innen und ihre Kontaktdaten sind aufgeführt, es steht auch da, wer ein Projekt finanziert.“ Für Neukölln sei ein solches Portal nicht vorgesehen – Bezirksbürgermeister Hikel (SPD) sei der Meinung, in der Bevölkerung bestehe dafür kein Interesse. Konrad schlug vor:  „Es sollte eine einheitliche Plattform für ganz Berlin geben, auf der Anwohner*innen sich informieren können, wo was passiert.“ Auch eine Zeitung als Hauswurfsendung sei denkbar. Der Fokus sollte auf die Bedürfnisse der Anwohner*innen gerichtet werden, bei Beteiligungsverfahren sollten die Mieter*innen in der Mehrzahl sein.

Diskussion mit den Abgeordneten

In der anschließenden Diskussion nahm Susanna Kahlefeld, (Bündnis 90/Die Grünen) Stellung. Das Problem der Verdrängung habe viel früher begonnen: „Weggezogen sind alle, die sich das irgendwie leisten konnten, weil sie ihre Kinder nicht im Bezirk zur Schule schicken wollten.“ Dann seien immer mehr Immobilien – sogar unbesehen – von internationalem Kapital gekauft worden. Gleichzeitig habe die SPD den Standpunkt vertreten, das Neuköllner Milieu sei nicht schützenswert.

Katalin Gennburg (Die Linke) begrüßte das Format des Forums. Die Koalition habe noch keinen großen Meilenstein erreicht. „Wie könnte der Milieuschutz mit den Sanierungsgebieten gekoppelt sein?“, fragte sie. In den 90er- und den 00er-Jahren seien die Sanierungsgebiete genutzt worden, um Investoren anzuziehen, daher wäre es gut, zusätzliche Ansätze für Bürgerbeteiligung zu schaffen.

Zum Thema wurde auch der Rathausblock, besser bekannt als Dragonerareal. Enrico Schönberg von der Initiative „Stadt von unten“ hob die guten Entwicklungen hervor: Trotz vieler Konflikte gebe es einen Sanierungsbeirat, der mit Vertreter*innen der landeseigenen Wohnungsunternehmen und Mieter*innen besetzt sei. „Es gilt, eine Betroffenenvertretung stets sofort einzuplanen, nämlich schon bei der Beantragung der Fördermittel. Wie der Senat an diesen Komplex herangeht, ist gut.“

„Die Politik des Senats ist mittlerweile progressiver als in manchen Bezirken“ sagte hierzu Tom Küstner. Die Frage stelle sich, welchen politischen Willen zur Gestaltung es gebe. Küstner wollte auch wissen, wie verbindlich Bürger*innenbeteiligung ist. „Was passiert mit den Ergebnissen aus der Bürger*innenbeteiligung? Gibt es Mindestanforderungen?“

Gaby Gottwald (Die Linke) fragte sich in ihrer Stellungnahme, ob das Thema auf der Landes- oder auf der Bezirksebene eingeordnet werden solle. „Ich habe herausgehört, dass Sanierungsgebiete per se als Problem wahrgenommen werden, weil Mietsteigerungen und all die anderen Begleiterscheinungen womöglich kaum zu verhindern sind“, sagte sie.

Das Dragonerareal als gutes Beispiel

Tom Küstner sagte, auf dem Dragonerareal werde das Baurecht von Stadt und Initiativen positiv genutzt. In Neukölln allerdings laufe das komplett anders, monierte er. Vor 15 Jahren hätte die SPD entscheiden können, Nordneukölln zu kaufen, doch der damalige Senator für Stadtentwicklung Peter Strieder und der Finanzsenator Sarrazin hätten sich für einen anderen Weg entschieden. Der Run auf Immobilien lasse nun aber bis heute nicht nach. Bei Nettokaltmieten von 25 Euro pro Quadratmeter in Nordneukölln und 30 Euro am Tempelhofer Feld sollten Investitionen nicht mehr steuerlich begünstigt werden.

Timo Schramm erklärte zur Frage, ob Sanierungsgebiete ein Fall für die Landes- oder die Bezirksebene seien: „Die Sanierungsverordnungen kommen vom Senat, nicht von den Bezirken.“ Die Politik bewege sich inzwischen weg von der Aufwertung, hin zum Schutz der Mieter. Auch für sie gehe es um Aufwertung, aber die Frage sei immer, wer letzten Endes davon profitiere. Das Dragonerareal sei gut aufgestellt gewesen im Kampf gegen Privatinvestoren, da sei man schon einen Schritt weiter. „Die Frage ist allerdings auch, was Aufwertung bedeutet. Fassadensanierung? Lebensqualität? Gewerbe?“

Stadtentwicklung mit Aktiven statt privaten Trägern

Diskutiert wurde auch, dass zu viele Stadtentwicklungsprozesse in Sanierungsgebieten privatisiert und Büros damit beauftragt würden. Im Zusammenhang mit LokalBau kam deshalb die Frage nach Interessenkonflikten in Hinblick auf private Träger auf. Magnus Hengge sagte hierzu, bei der Beauftragung privater Planungsbüros gebe es Spielraum für die Politik: Sein Büro sei gleichfalls privat, folge aber keinerlei neoliberalen Ansätzen, sondern habe eine klare Zielsetzung in einem Manifest niedergeschrieben. Es biete sich daher an, Leitlinien zu entwickeln, sowohl auf Landes- wie auf Bezirksebene. Eine kritische Haltung gegenüber privaten Trägern sei auf jeden Fall angebracht. In Kreuzberg eruierten Initiativen, wie viele Aktive tatsächlich eingebunden sind. Im Quartiersmanagement seien viele Leute aus der Wirtschaftsförderung präsent, obwohl Aktive die bessere Wahl wären.

Bürger*innen auf Augenhöhe begegnen

Im Zusammenhang mit Sanierungsgebieten kam beim Hearing auch das Weigandufer zur Sprache. Es sei katastrophal, was dort passiere. Die angeblich ökologische Umgestaltung der Grünflächen sei weder ökologisch noch gewollt. Es müsse immer Bürgerbeteiligung geben. Darüber hinaus sei wichtig zu erfahren, dass die Interventionen der Bürger*innen gehört werden.

die Abgeordneten kontten auf einige Fragen direkt eingehen, andere Forderungen wurden mitgenommen, um sie später zu bearbeiten

Zum Abschluss des Hearings wies Rouzbeh Taheri darauf hin, dass derzeit an Leitlinien gearbeitet werde. Auf Landesebene sollten einheitliche Standards für Sanierungsgebiete gelten. Mittels einer neuen Ausführungsvorschrift soll die frühe Kooperation mit den Bürger*innen in die Wege geleitet und Verbindlichkeit festgeschrieben werden. Es sei wünschenswert, den Beteiligten auf Augenhöhe zu begegnen. 

Die Abgeordneten konnten auf einige Fragen direkt eingehen, andere Forderungen wurden mitgenommen, um sie später zu bearbeiten. In einigen Monaten soll sich eine kleine Runde zur Auswertung der neuen Prozesse zusammensetzen.