Welcher Weg führt zu einem zulässigen Einwohner*innenantrag?

Die Landesverfassung Berlins sieht vor, dass Bürger*innen nicht nur durch Wahlen ihre Stimmen einbringen, sondern auch direkt über Bürger*innenbeteiligung die politischen Prozesse beeinflussen sollen. In den Bezirken können Initiativen ihre Anliegen vor die Bezirksverordnetenversammlungen bringen.

Dreckige Schulräume und unterbezahlte Reinigungskräfte, die ihre Arbeit unmöglich in der vorgegebenen Zeit erledigen können: In Berlins Schulen herrschen grässliche Zustände. Im Bezirk Mitte haben sich deshalb Eltern der Initiative „Schule in Not“ angeschlossen. Die fordert, die Reinigung von Schulen wieder an die öffentliche Hand zu übertragen, anstatt sie ausbeuterischen privaten Unternehmen zu überlassen. „Schule in Not“ sammelt dafür in allen Bezirken Unterschriften, weil die Schulreinigung eine bezirkliche Aufgabe ist. Die Aktion ist jedoch nicht dafür gedacht, sich öffentlichkeitswirksam zu beschweren oder eine Petition einzubringen, sondern Teil eines demokratischen Instruments, das alle Bürger*innen Berlins in den Bezirken nutzen können –  der Einwohner*innenantrag. Mit einem solchen Antrag kann die Initiative erreichen, dass sich die Bezirksverordnetenversammlung mit ihrem Problem befasst und über ihre Forderung abstimmt.

Bezirkspolitiker*innen müssen Bürger*innen zuhören

Das Mitspracherecht der Bürger*innen Berlins ist von der Landes- bis zur Bezirksebene geregelt und spielt in der Verfassung von Berlin ausdrücklich eine Rolle. Zugrunde liegt der Gedanke, dass Bürger*innen nicht bis zur nächsten Wahl abwarten sollen müssen, bis sie wieder die Richtung bestimmen können, sondern aktiv in Prozesse eingreifen können.

Auf der Bezirksebene gibt es dafür unter anderem die Möglichkeit, einen Einwohnerantrag zu stellen. Er verleiht Bürger*innen das Recht, ihr Anliegen vor der BVV und in den zuständigen Ausschüssen vorzutragen und eine Empfehlung abzugeben. Einfacher gesagt: Bezirkspolitiker*innen müssen laut Gesetz Bürger*innen zuhören, wenn diese einen Einwohnerantrag auf die Beine gestellt haben.

Die Regeln für den Einwohner*innenantrag

Bevor „Schule in Not“ ihren Antrag einreichen kann, musste die Initiative in Mitte drei sogenannte Vertrauenspersonen aussuchen. Diese Vertrauenspersonen werden im Antrag mit ihren Namen genannt und haben später das Recht, vor der BVV und in den Ausschüssen zu sprechen.

Grundsätzlich gilt: Mit einem Einwohner*innenantrag verlangen die Antragsteller*innen von den Mitgliedern der BVV, einen oder mehrere Beschlüsse zu fassen, die das Bezirksamt dann umsetzen soll. Der Antrag folgt einem Schema und beginnt formal mit den Worten „Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen“. Im nächsten Satz oder in den nächsten Sätzen stehen die Aufträge – die BVV soll also das Bezirksamt beauftragen, dieses oder jenes zu tun. Aus dem Text muss klar hervorgehen, worum es geht. In der Forderung „Saubere Schulen in Berlin-Mitte“ steht deshalb auch deutlich, was das Bezirksamt umsetzen soll. Ein Beispiel: „Ab dem Schuljahr 2021/2022 wird die Schulreinigung von Fremd- auf Eigenreinigung umgestellt. Das Bezirksamt wird beauftragt, sich bei den zuständigen Stellen für eine Rekommunalisierung der Schulreinigung einzusetzen. Ziel muss sein, feste Reinigungskräfte in den Schulbetrieb zu integrieren und die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten deutlich zu verbessern.“

Zum Einwohnerantrag gehört außerdem zwingend eine Begründung, warum er gestellt wird. Beide Texte – Antrag und Begründung – müssen zuerst fertig sein, denn damit müssen Initiativen die Nachbarschaft gewinnen. Mindestens 1.000 Bewohner*innen des Bezirks müssen mit Name, Geburtsdatum, Adresse, Unterschrift und Datum die Idee unterstützen, und zwar handfest auf Papier. Mails sind genauso nutzlos wie Online-Votings: Diese Stimmen zählen nicht.

Abseits davon liegen die Hürden nicht hoch. Wer mindestens 16 Jahre alt und im Bezirk mit Erstwohnsitz oder alleinigem Wohnsitz gemeldet ist, hat eine gültige Stimme –  und muss weder eine deutsche noch eine EU-Staatsbürgerschaft besitzen.

Antragstext und Unterschriften gehören zusammen!

Für ihre Unterschriftensammlung nutzen die Mitglieder von „Schule in Not“ ein mustergültiges Formular, das eine wichtige Regel berücksichtigt: Antragstext und Unterschriften gehören zusammen! Die Unterzeichner*innen müssen selbstverständlich genau wissen, was sie unterschreiben. Unterschriften auf zusätzlichen Blättern oder Rückseiten sind ungültig. Falls die Begründung für einen Antrag lang ausfällt, darf sie getrennt von der Unterschriftenliste verteilt werden. 

So sieht der formal korrekte, deutlich formulierte Einwohnerantrag der Initiative „Schule in Not“ für den Bezirk Mitte aus
So sieht der formal korrekte, deutlich formulierte Einwohnerantrag der Initiative „Schule in Not“ für den Bezirk Mitte aus
 

Mehr Unterschriften einsammeln als nötig

Unterschriftensammlungen enthalten am Ende einige ungültige Stimmen. Manche Menschen haben sich einfach nur eingetragen, um das Anliegen freundlich zu unterstützen, waren aber Touristen; andere machten sich Sorgen wegen ihrer Daten und trugen eine falsche Adresse ein, bei manchen ist die Schrift unlesbar. Auch „Schule in Not“ plant deshalb mindestens 15 Prozent mehr Unterschriften als die erforderlichen 1.000 ein. 

Wenn die Unterschriftensammlung abgeschlossen ist, reicht die Initiative den Antrag zusammen mit den Namen der Vertrauenspersonen, der Begründung und der Unterschriftensammlung bei der BVV ein. Das Bezirksamt muss nun prüfen, ob die Formalien eingehalten wurden und ob die Unterlagen vollständig sind. Zuständig dafür ist der/die Vorsteher*in der BVV. Er oder sie teilt mit, ob der Antrag zulässig ist oder ob nachgebessert werden muss.

Jetzt gilt´s: reden und mitreden

Ist der Antrag zulässig, muss die BVV spätestens innerhalb von zwei Monaten, nachdem er abgegeben wurde, über ihn entscheiden. Die Vertrauenspersonen haben das „Recht auf Anhörung“ in der BVV – sie sind also berechtigt, vor der BVV zu sprechen. Initiativen können ihre*n Redner*innen unterstützen, indem sie mit vielen Zuschauer*innen zur BVV-Sitzung kommen. Die BVV kann beschließen, dass sich zunächst Fachausschüsse mit dem Antrag beschäftigen und ihre Empfehlungen in die BVV zurücktragen. Die Vertrauenspersonen dürfen und sollten unbedingt an den Sitzungen dieser Ausschüsse teilnehmen.   

Zurück in den Bezirk Mitte: Die Unterschriftensammlung der Initiative „Schule in Not“ geriet durch die Corona-Pandemie ins Stocken. Das wirft die Organisator*innen aber nur zeitlich zurück – das Ziel, über 1.000 Unterzeichner*innen zu finden, ist an keine Frist gebunden. Die Initiative sammelt weiter und setzt darauf, dass viele Mitte-Bewohner*innen den Einwohner*innenantrag von ihrer Website herunterladen, unterschreiben und ihr zuschicken. In Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow, Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg haben die Einwohner*innenanträge von „Schule in Not“ übrigens bereits die mehrheitliche Zustimmung der Bezirksverordnetenversammlungen erhalten.

Zusammenfassung: In sechs Schritten in die BVV

  1. Den Einwohner*innenantrag klar formulieren und begründen
  2. Drei Vertrauenspersonen bestimmen, die den Einwohner*innenantrag vor der Bezirksverordnetenversammlung und, falls nötig, in den Ausschüssen vertreten
  3. Mit formal korrekten Unterschriftenlisten Stimmen für den Einwohner*innenantrag sammeln
  4. Den Einwohner*innenantrag mit den Namen der Vertrauenspersonen, der Begründung und der Unterschriftensammlung bei der BVV einreichen
  5. Den Auftritt vor der BVV vorbereiten
  6. Wenn der Antrag in Ausschüsse überwiesen wird, an den Ausschüssen teilnehmen!