Beim dritten Hearing des IniForums am 26. August 2020 stellten Vertreter*innen von Initiativen und Fachleute die aktuelle Lage von Mieter*innen, Gewerbetreibenden und Wohnungslosen seit Beginn der Corona-Pandemie dar.
Eigentlich sollen die Hearings des IniForums im Abgeordnetenhaus abgehalten werden. Doch seitdem bekannt geworden war, wie schnell sich das Corona-Virus in geschlossenen Räumen ausbreitet, hatte sich auch das IniForum dafür entschieden, seine Veranstaltungen ins Netz zu verlegen. Moderiert von Rouzbeh Taheri und Fabian Steinecke, fand das dritte Hearing als Zoom-Konferenz statt. Eingewählt hatten sich Henrik Solf, Anwalt mit Schwerpunkt Mietrecht, Stefan Klein von der Gewerbemieter*innenberatung KiGE und Elisa Lindemann und Judith Lahme von der Koepjohann’schen Stiftung als Vertreter*innen des Arbeitskreises Wohnungsnot. Aus der Landespolitik nahmen Katrin Schmidberger (Mitglied im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen, Grüne), Gaby Gottwald (Mitglied im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen, Die Linke), Michail Nelken (Die Linke) und Ülker Radziwill (Vorsitzende des Ausschusses für Stadtentwicklung und sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion) teil. Aus der Verwaltung hatte sich Dr. Sandra Obermeyer (Abteilungsleiterin der Senatsverwaltung Stadtentwicklung und Wohnen) zugeschaltet. Iris Spranger (wohnungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion), musste ihre Antworten aufgrund technischer Probleme schriftlich übermitteln.
„Bislang wenig Corona-bedingte Mietausfälle im Wohnungsbereich“, so resümmierte Henrik Solf in seinem Kurzvortrag die Situation der Mieter*innen, „entgegen allen Erwartungen.“ Gleichwohl sei unklar, wie die Entwicklung in nächster Zukunft verlaufe. Im Gewerbebereich gebe es dagegen sehr viele Zahlungsausfälle. Allerdings drohten die Vermieter*innen nicht immer sofort mit der Kündigung, sondern verhielten sich häufiger kooperativ. Dabei spiele sicherlich eine Rolle, dass lukrative Neuvermietungen in nächster Zeit nicht in Sicht seien.
Vermieter*innen kommen unbeschadet durch die Pandemie
Stefan Klein von der KiGE widersprach Solfs Eindrücken, Gewerbetreibende hätten es mit kooperativen Vermieter*innen zu tun: „Da wird jede Möglichkeit genutzt, um alte Mieter*innen loszuwerden, damit ein vermeintlich oder tatsächlich lukrativerer Vertrag abgeschlossen werden kann, auch jetzt zu Corona-Zeiten“, sagte er. Allgemein sehe die Situation der Gewerbetreibenden so aus, dass die stets befristeten Verträge in der Regel nicht fortgesetzt würden oder sich die Miete um das Doppelte und noch mehr erhöhe. 90 Prozent der Gewerbetreibenden hätten Hilfen beantragt. Dies habe bei Rückzahlungen geholfen. Insbesondere Gewerbetreibende mit Migrationshintergrund hätten die verschiedenen Förderbedingungen jedoch nicht immer im Detail erfasst. „Ich befürchte Rückforderungen an denjenigen, die die Hilfe auch für die Deckung ihrer Lebenshaltungskosten verwendet haben.“ Da die Rücklagen aufgezehrt seien, könnten sich Rückzahlungsforderungen existenzbedrohend auswirken. Viele Mandant*innen hätten auch berichtet, ihre Vermieter*innen hätten sich besorgt nach ihrer Lage erkundigt – und befriedigt zur Kenntnis genommen, dass die Gewerbetreibenden sich von Bund und Land unterstützen ließen. „Von Vermieter*innen, die die Miete reduzieren, habe ich nicht gehört“, so Klein. Im Gegenteil: Einige hätten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zum Anlass genommen, den Vertrag nicht zu verlängern. Manche hätten sogar angekündigt, eingerichtete Betriebe, die sich dank Rücklagen hätten retten können, nach dem Auslaufen des Mietvertrags selbst zu übernehmen.
„Die Vermieter*innen sind die Einzigen, die bislang unbeschadet durch die Pandemie gekommen sind“, stellte Klein fest. Die KIGE rechne mit einer Welle von Kündigungen und Geschäftsaufgaben. Ein rechtlicher Schutz für Gewerbemieter*innen durch ein entsprechendes Gesetz sei dringend notwendig.
Corona-Regeln sind in Obdachlosenunterkünften nicht einzuhalten
Wie stark Menschen am Rande der Gesellschaft von der Krise betroffen sind, führten Elisa Lindemann und Judith Lahme aus. Das Problem: Es gibt zwar Einrichtungen für Obdachlose, doch gerade hier sind – angesichts von Gemeinschaftsküchen und Mehrbettzimmern – Corona-Regeln überhaupt nicht einzuhalten. Die Kapazitäten seien ohnehin begrenzt, sagte Lindemann. „Spätestens im Herbst wird die Situation noch problematischer.“ Für die Menschen müsse bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Hinzu kommt, dass Menschen in leistungsberechtigte und nicht leistungsberechtigte Obdachlose unterschieden werden. „Nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz müssten leistungsberechtigte Personen in Mehrbettzimmern untergebracht werden, aber gerade Menschen ohne Leistungsberechtigung sind besonders gefährdet und ihre Lage ist noch prekärer.“ Aufgrund von Vorerkrankungen, psychischer Verfassung oder Alter könnten besonders Gefährdete mit den bestehenden Kapazitäten nicht geschützt werden, so Lindemann. Ein weiteres Problem unter Pandemiebedingungen ist die Hygiene. Die Schwierigkeiten, tagsüber auf eine Toilette zu gehen oder sich die Hände waschen zu können, seien derzeit groß. Außerdem gebe es keine Lohnersatzleistungen für Mitarbeiter*innen, was auch die vielen Ehrenamtlichen betreffe. Schutzmaterialien seien unzureichend vorhanden, und es sei ungeklärt, wer Anspruch darauf habe.
Judith Lahme ergänzte, dass die Gesundheitsämter kaum erreichbar gewesen seien, etwa um die geforderten Hygienekonzepte abzustimmen. Sie fühlten sich allein gelassen und stellten sich immer wieder die Frage, ob sie Einrichtungen schließen sollten. Davon wäre aber auch die letzte Anlaufstelle für Frauen betroffen: Wegen der Hygienerichtlinien stünden aktuell von den 60 Plätzen für Frauen nur 34 bereit. Es wurden während des Lockdowns zwar zusätzliche Einrichtungen geschaffen, aber nur gemischtgeschlechtliche. Eine Unterbringung dort sei aber kein adäquater Ersatz für Frauen, von denen einige aufgrund von Gewalterfahrungen in die Wohnungslosigkeit gerieten.
Obdachlose in Hotels und Ferienwohnungen unterbringen
Der Lockdown habe Wohnungs- und Obdachlosen noch zusätzliche Erschwernisse gebracht: Bei der Parole „Bleibt zu Hause“ hätten sie sich oft nicht gesehen gefühlt. Sie seien noch häufiger vertrieben worden als sonst; es habe mehr Krisen, Zusammenbrüche und Suizidversuche gegeben. Noch dazu seien auch die geringsten Einkünfte der Menschen weggefallen: Es gab viel weniger Flaschen zu sammeln und keine Zeitungen zu verkaufen.
Die Einrichtungen für Wohnungslose hätten im Fall der Quarantäne Mehrkosten für Essen aufbringen müssen. Zudem habe sich die Suchtproblematik als kostentreibend erwiesen, denn Alkohol decke das Amt nicht mit den üblichen Kostensätzen, den hätten die Einrichtungen selbst finanzieren müssen.
Der AK Wohnungsnot forderte, leerstehende Hotels und Ferienwohnungen bereitzustellen, besonders für Frauen, eine diskriminierungsfreie Nutzung unabhängig von Transferleistungen zu ermöglichen und ein mobiles Unterstützungsteam aufzubauen. Er schlug außerdem vor, eine Task Force beim Gesundheitsamt beziehungsweise beim Senat einzurichten, um zu klären, wie mit Corona-Verdachtsfällen umzugehen sei. Auf den Vorschlag, während des Lockdowns wenigstens die Bäderbetriebe zu öffnen, habe es beispielsweise keine Reaktion gegeben.
Kurzfristig sei mehr Schutzausrüstung erforderlich, verbunden mit der Information, was dazugehöre, mittelfristig ein besser geschütztes Tagessegment und langfristig mehr Wohnraum ohne gesellschaftliche Hürden. Auch gelte es, öffentliche Räume nutzbar zu machen.
Gewerbetreibende stellen Anträge auf Mietstundungen
In der Antwortrunde der Politikerinnen zeigten sich Katrin Schmidberger (Grüne) und Gaby Gottwald (Die Linke) weitgehend einig. Im Bereich Wohnen sei erst mal vieles gelungen, sagte Schmidberger. Durch Regelungen der Bundespolitik würden Mieten gestundet und Kündigungen sowie Zwangsräumungen ausgesetzt. Die Landesbetriebe klärten gerade, wie mit den Rückständen von Gewerbetreibenden zu verfahren sei, zum Beispiel im Berliner Großmarkt. Im NKZ würden die Mieten verringert oder ausgesetzt. Geplant sei, einen Antrag für den Schutz von Gewerbemieter*innen ins Parlament bringen und auch in den Bundesrat, doch bei anderen Ländern bestehe offenbar kein Regelungsbedarf. „Ich befürchte, dass die Folgen der Krise nicht gerecht getragen werden“, sagte Schmidberger. Gaby Gottwald ergänzte, dass Regelungen für Gewerbemieten im Grundsatz nur auf Bundesebene festgelegt werden könnten. Dafür sei jetzt ein guter Zeitpunkt, denn allein bei den Landesunternehmen gebe es zahllose Anträge auf Stundung und Mietverzicht. Stand Ende Juni seien bei den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften 1470 Anträge auf Mietstundungen im Volumen von 1,7 Millionen Euro gestellt worden, im Gewerbebereich 831 Anträge im Volumen von sieben Millionen Euro. „Das Schlimmste wird wohl noch kommen“, sagte sie. „Zu den Folgen wird auch eine hohe Arbeitslosigkeit zählen.“ Es sollte daher Druck auf Bundesebene ausgeübt werden. Preisregelungen, Mietspiegel und Ähnliches wären mögliche Instrumente.
Ein Antrag, die Landesunternehmen zu veranlassen, nicht nur zu stunden, sondern auch auf Mieten zu verzichten – was in Einzelfällen schon geschehe –, um ein Zeichen zu setzen, wurde schon eingebracht, allerdings vom Finanzsenator blockiert. Um ein Konzept „Wie kommen wir zu Mietverzicht?“ gebe es gleichwohl viele interne Diskussionen. Sogar ein Vorschlag des ZIA (Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.) liege vor, auf einen Teil der Miete – etwa 25 Pozent – zu verzichten und einen Teil durch Zuschüsse decken zu lassen. Wie bei Mietverzicht gefördert werden könne, ohne einfach nur die andere Seite zu füttern, werde bei der Linken in einer AG diskutiert. Iris Spranger (SPD) teilte per E-Mail mit, zum Thema Gewerbemieten gebe es eine Bundesratsinitiative, einen Gewerbemietendeckel einzusetzen, die bis jetzt leider nicht erfolgreich gewesen sei. Auch Ülker Radziwill (SPD) betonte, die Gewerbemieten müssten sicherer gemacht werden. Die Finanzkrise seinerzeit sei gut überwunden worden, weil Berlin eine kleinteilige Gewerbestruktur habe. Diese zu sichern sei notwendig: „Die Gewerbe machen die Vielfalt einer Stadt aus, und es müssen auch die Arbeitsplätze erhalten werden.“ Deren Verlust könne sozialpolitisch sowieso nicht aufgefangen werden. Sie begrüßte daher auch die Verlängerung des Kurzarbeitsgeldes.
Dr. Sandra Obermeyer berichtete von einem Infoblatt für Wohnungsmietende, das ihre Verwaltung in Absprache mit Verbänden wie dem BBU (BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V.) und Haus und Grund (Haus & Grund Deutschland – Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e.V.,
Spitzenverband der privaten Wohnungswirtschaft) erstellt habe, um auf Unterstützungsmöglichkeiten wie Wohngeld hinzuweisen. Das sei auch für Gewerbemietende geplant. Manche Gewerbetreibende seien womöglich überfordert, wie auch anfangs vom Vertreter der KiGE geäußert worden sei. Deshalb gebe es dazu eine Absprache mit der Wirtschaftsverwaltung.
Unterbringung von Obdachlosen wird Thema für den Nachtragshaushalt
Zu den Forderungen des AK Wohnungsnot sagte Katrin Schmidberger, die Unterbringung von Obdachlosen in Hotels und Ferienwohnungen werde in der Koalition unterschiedlich bewertet – nicht nur finanzpolitisch, sondern ob das überhaupt eine Option wäre. Ülker Radziwill sah das anders: Im Bereich der Sozialpolitik sei die Koalition sehr bemüht um Unterbringungsmöglichkeiten für Menschen ohne Obdach in Hotels und Ferienwohnungen, damit sie in Zeiten der Pandemie eine adäquate Unterkunft haben. Der Ausschuss Arbeit und Soziales im Abgeordnetenhaus werde am nächsten Tag diskutieren, welche Arten von Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden seien und wie Bezirksämter Räumlichkeiten finden. Zudem sei die bedarfsgerechte Unterbringung von Frauen ein Thema: „In dem Bereich braucht es mehr Plätze und Ressourcen“, sagte sie. Weil diese Notwendigkeiten auch in den Nachtragshaushalt einfließen sollten, sollten ihr die Vertreterinnen des AK Wohnungsnot gern schreiben – das erledigten Elisa Lindemann und Judith Lahme übrigens noch während des Hearings. Radziwill betonte, sie habe sich schon dafür eingesetzt, die Kältehilfe einen Monat früher starten und einen Monat länger laufen zu lassen. Aber auch ganzjährig seien mehr Angebote dringend erforderlich. Die Forderungen im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) unterstützte sie. Es gebe sehr viele ASOG-Unterbringungen, aber die staatlichen und gesetzlichen Aufgaben würden längst nicht erfüllt. „Das muss sozialpolitisch korrigiert werden“, sagte sie.
Sandra Obermeyer ergänzte, dass die Landeseigenen Wohnungsunternehmen sich daran beteiligten, ein geschütztes Segment des Marktes zu stärken. Dazu würden auch private Vermieter*innen beitragen, allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Nach der Kooperationsvereinbarung sollten bei Neuvermietungen, für die zu 60 Prozent Menschen mit Wohnberechtigungsschein berücksichtigt werden sollen, von Obdachlosigkeit Bedrohte vorgezogen werden. Die Quote werde von den Landeseigenen Wohnungsunternehmen übererfüllt.
Zum Abschluss der Veranstaltung kündigte Rouzbeh Taheri an, dass zu den Themen Gewerbemieten, Wohnungs- und Obdachlosigkeit in den kommenden Monaten Diskussionsveranstaltungen stattfinden sollen. Hierfür erarbeiten die beteiligten Initiativen Konzepte.