„Wenn man in eine Padovicz-Wohnung zieht, braucht man immer einen Anwalt an seiner Seite“
Zwei Häuser, drei Aufgänge, ein gemeinsamer Garten – das ist die Hauptstraße 1 nahe der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg. In den einfach ausgestatteten Wohnungen gibt es noch Kohleöfen, aber die Mieten sind bezahlbar. Der Nachteil: Das Grundstück gehört der Immobiliengruppe des berüchtigten Vermieters Gijora Padovicz. Der will nun die Häuser abreißen lassen und neu bauen. Ein Interview mit zwei Mitgliedern der Hausgemeinschaft, deren Namen wir zu ihrem Schutz geändert haben.
Schon bevor der Bebauungsplan Ostkreuz beschlossen wurde, wurde an der Rummelsburger Bucht gebaut. Wie sah eure Umgebung früher aus?
Martin: Als ich hierher zog, war die Hauptstraße ein Flickenteppich aus Gleisen und Schlaglöchern. Wir hatten zwei riesige Kastanien vor dem Haus. Die Brachen ringsherum waren öffentlich zugänglich und wurden auch genutzt. Da konnte man picknicken, Fußball spielen, im Sommer gab es manchmal Open Airs, es gab die Rummelsbucht als Biergarten. Es war ein prominenter Ort mitten in der Stadt, schön grün, man konnte sich da aufhalten. Dann hat der Bezirk die Bauzäune aufgestellt, um das Entwicklungsgebiet voranzutreiben und es investorenfreundlicher zu machen, so haben sie es genannt. Seitdem fliegt da Müll rüber und niemand kümmert sich darum. Dann sind auch die Camps entstanden. Also die Gegend verwahrlost und ist zu dem Schandfleck geworden, den die Medien beschreiben.
Annika: Leute in Zelten haben schon immer hier gewohnt und das ist auch ok. Da war einfach Platz. Bei uns auf der Brache nebenan war auch der Diesel-A Wagenplatz. Die hatten vor zwei Jahren den Widerstrand gemacht. Das fand ich total schön. Da war ein Volleyballnetz, da gab es Pizza und Infoveranstaltungen und Kino. Manchmal ist es ja so, dass solche Orte ein bisschen vergammeln nach einer Zeit, aber da war es gar nicht so. Und man muss sagen, dass es sehr viel besser aussah als jetzt.
Wie hat sich die Gegend bis heute verändert?
Martin: Wenn man jetzt die Hauptstraße hinunter geht Richtung Wuhlheide, blickt man auf diese Backsteinbauten – ich finde die schrecklich, ich könnte da nicht wohnen. Alles ist uniform, dann die Bäume – es sieht aus wie eine künstliche Welt.
Annika: Seelenlos.
Was wusstet Ihr über Eure Situation als Mieter*innen, als Ihr in die Hauptstraße eingezogen seid?
Martin: Nicht viel. Wir waren insgesamt 27 Mietparteien, über die Hälfte hatte befristete Verträge, die größtenteils unrechtmäßig befristet waren, wie sich später in juristischen Beratungen herausstellte.
Annika: Seit Padovicz das Haus übernommen hatte, stellte er nur noch befristete Verträge aus. Die wurden aber immer wieder verlängert. Die Grundstimmung im Haus war: „Ach, das heißt gar nichts.“ Dann kam 2017 der erste Brief mit der Ankündigung, dass wir alle rausmüssen. Ein paar Leute sind ausgezogen, andere wie wir haben sich gewehrt. Zwischendurch stand aber auch mal die Hausverwaltung bei uns vor der Tür und verlangte eine Schlüsselübergabe – das haben wir natürlich nicht gemacht.
Wie war der Umgang von Padovicz’ Hausverwaltung mit anderen Mieter*innen?
Annika: Wir haben zum Beispiel eine 80-jährige Nachbarin, der Ende 2017 ein Zwischennutzungsvertrag aufgedrängt worden war. Ihr wurde gesagt, sie könne noch ein halbes Jahr länger bleiben, wenn sie ihn unterschreibt. Das haben sie auch mit anderen Mieter*innen gemacht. Als sie ihre Kündigung im November 2020 erhielt, kurz vor dem Winter und mitten in der Pandemie, wurde ihr ein Monat Zeit gegeben, die Wohnung zu räumen.
Martin: Das war aber unrechtmäßig, die sind auch juristisch dagegen vorgegangen und die wohnen auch immer noch hier. Ich finde krass, wie skrupellos Padovicz sich verhält. Die älteren Damen im Haus haben Glück, dass sie sehr engagierte Töchter und Enkel haben. Ich stelle mir manchmal vor, wie das für die wäre, wenn sie keine Enkel oder die Hausgemeinschaft hätten.
Konntet ihr euch mit Nachbar*innen im Bezirk vernetzen?
Annika: Wir haben wenig Unterstützung aus der Nachbarschaft – in Stralau sind hochpreisige Eigentumswohnungen mit Seeblick für Kleinfamilien entstanden, hier direkt nebenan werden auch Eigentumswohnungen gebaut. Und das Obdachlosencamp, das jetzt unter dem Vorwand des Kälteschutzes geräumt wurde, hatte selbstverständlich ganz andere Probleme. Aber gefroren hat es in den früheren Wintern auch immer mal wieder. Dringend wurde es mit der Räumung des Camps für die Politik erst, als die Umsetzung des Bebauungsplans näher rückte und auch bei uns so langsam alle raus sind. Dass unser Haus jahrelang halbleer mit fest verriegelten, unvermieteten Wohnungen neben dem Camp stand, das hat sich manchmal schon ganz schön absurd angefühlt.
Was habt ihr damals unternommen?
Martin: Wir haben Kontakt mit der damaligen Baustadträtin Birgit Monteiro aufgenommen. Wir wollten wissen, was los ist. Uns wurde jahrelang erzählt, dass unsere Häuser unter Bestandsschutz stehen. Und dass der Bebauungsplan nicht vorsieht, dass die Häuser abgerissen werden. Gleichzeitig stellten wir fest, dass Mieter*innen nicht an aussagekräftige Informationen kommen, obwohl wir uns intensiv darum bemüht haben. Man bekommt das Gefühl, dass man absichtlich in Unwissenheit gelassen wird.
Annika: Deshalb sind wir aus allen Wolken gefallen, als letztes Jahr der Brief kam, unsere Häuser sollen abgerissen werden und das hätten wir ja schon immer gewusst. Wir sollen bis Juli 2021 raus.
Wie verhält sich der Bezirk?
Martin: Der Bezirk ist sehr kommunikativ, aber wir haben das Gefühl, das dass alles nur Lippenbekenntnisse sind. Es heißt auch immer: Es tut uns Leid, rein rechtlich ist Padovicz zu gar nichts verpflichtet. Der Bezirk hatte die Mieterberatung Asum beauftragt, sich um uns zu kümmern.
Annika: Uns wurde bis zum Frühjahr gesagt, dass wir nach einem Sozialplanverfahren umgesetzt werden, dass wir zum Beispiel einen Umsetzschein kriegen, der so ähnlich funktioniert wie ein WBS-Schein. Dass die Umzugskosten getragen werden und angemessener Wohnraum zur Verfügung gestellt wird, wenn man schon umziehen muss. Dann schaltete sich der Senat ein und auf einmal sollte sich das Stadtentwicklungsunternehmen DSK damit befassen, uns umzusiedeln. Und es kam heraus: Es gibt gar kein Sozialplanverfahren, sondern einen Vertrag mit Padovicz, in den bis heute niemand Einsicht hat.
Wo sollen die Mieter*innen jetzt hin?
Annika: Wir haben eine Liste mit Umsetzwohnungen bekommen, die alle im Padovicz-Bestand sind. Wir hatten uns mit Bezirk und Senat getroffen Ende letztes Jahr, die beiden älteren Damen waren auch dabei. Wir sagten, es kann doch nicht sein, dass alle ausgerechnet bei Padovicz in Umsetzwohnungen sollen – warum bekommen wir kein Angebot aus dem kommunalen Wohnungsbau? Kevin Hönicke, der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Soziales, Wirtschaft und Arbeit hat daraufhin bei der HOWOGE nachgefragt, die in der Rummelsbucht auch gerade viel baut. Die HOWOGE hat geantwortet, sie hätte wenig Kapazitäten, aber sie könne für extreme Härtefälle eine Ausnahme machen. Eine unserer älteren Nachbarinnen hat jetzt auch hier in der Nähe eine HOWOGE-Wohnung bekommen. Dazu muss man aber auch sagen, dass sie das Angebot niemals bekommen hätte, wenn wir uns nicht zusammengeschlossen hätten.
Martin: Es wäre für alle gut, über den Bezirk eine Wohnung im kommunalen Wohnungsbau zu bekommen. Wieder zu Padovicz, da ist klar: der Psychoterror hört nie auf. Wenn man in eine dieser Padovicz-Wohnungen zieht, dann ist man ganz alleine, ohne die Hausgemeinschaft, die wir uns aufgebaut haben, und braucht eigentlich immer einen Anwalt an seiner Seite.
Welche Fehler macht die Politik?
Martin: Das Problem ist, dass der Bezirk uns eigentlich unterstützen will, aber der Senat sagt: Die Lage ist, wie sie ist – es gibt diese Verträge mit Padovicz. Das ist für mich ein Skandal: dass nach den Regeln der Investoren gespielt wird, und dass der Senat mitmacht.
Annika: Wir leben gern hier und werden so etwas nie wiederfinden. Und unsere Hausgemeinschaft wird auseinander gerissen, das ist auch ein Verlust. In den Gesprächen mit dem Senatsvertreter kam eigentlich nur rüber: So ist es eben, seid froh, dass es euch nicht noch schlechter geht, seid froh, dass Herr Padovicz zu Zugeständnissen bereit ist, sonst würdet ihr ja auf der Straße landen. Der Ton ist vollkommen verdreht: Wir sollen dankbar sein.