Über die Idee einer Schiedsstelle und Taskforce für Berlin

Beim fünften Hearing des Initiativenforums Stadtpolitik Berlin berichteten Vertreter:innen der selbstverwalteten Jugendzentren Drugstore und Potse sowie des Wagenplatzes Wagenkunst Rummelsburg von ihren Erfahrungen mit Politik und Verwaltung. Maria Haberer und Iver Ohm von der Initiative „Bucht für alle!“ stellten die Idee einer Taskforce und Schiedsstelle vor. 

Wir haben uns daran, gewöhnt, Hearings des IniForums pandemiebedingt im Netz abzuhalten. An der Diskussion über die Frage, wie soziokulturelle Projekte erhalten werden können, nahmen viele Ini-Vertreter:innen teil. Aus der Landespolitik und der Verwaltung waren Wenke Christoph, Staatssekretärin für Wohnen (Die Linke) beteiligt, Thorsten Wöhler (Die Linke) als Staatssekretär für Kultur und Europa, die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung, Tourismus, Smart City der Linksfraktion und Ülker Radziwill, sozialpolitische Sprecherin der SPD. Von der Senatsverwaltung für Finanzen nahm leider niemand teil. Den Input für die Veranstaltung am 3. März 2021 hatten die Initiativen „Bucht für alle!“ aus Lichtenberg, Vertreter:innen von „Wagenkunst Rummelsburg“ und die Schöneberger Jugendzentren „Potse“ und „Drugstore“ vorbereitet.

Das Jugendzentrum muss wahrscheinlich in einen anderen Bezirk

Seit 2018 warten die Kollektive der Schöneberger Jugendeinrichtungen Drugstore und Potse auf Ersatzräume für ihre bisherigen Flächen in der Potsdamer Straße 180. Während die Jugendlichen der Potse ihre gut 800 Quadratmeter besetzt halten, soll das Drugstore in die Potsdamer Straße 134 einziehen. Hier dauern die Sanierungsarbeiten jedoch an. 

Domi vom Drugstore forderte deshalb, das Ersatzquartier solle fristgerecht fertiggestellt werden: „Weitere Verzögerungen werden wir weder ertragen noch politisch erdulden.“  Damit der Erhalt soziokultureller Räume nicht von Marktinteressen und Stimmungswechseln der Eigentümer:innen abhänge, sollten die Bezirke einen Bestand an Flächen und Räumen vorhalten. Das Land  sollte außerdem einen Mietendeckel für Gewerbemieten einführen: „Die Mieterhöhungen sind ebenfalls eine Ursache der Verdrängung soziokultureller Projekte“, sagte Domi. Sie monierte die schlechte Kommunikation  der Behörden. Vieles scheitere an Verantwortlichen, die sich nicht verantwortlich fühlten und nicht antworteten. 

Jasmin und Paul forderten, die Räumung der Potse auszusetzen. Es sei ein Armutszeugnis für Senat, Bezirk und Jugendamt, wenn Jugendliche gewaltsam aus ihren Räumen vertrieben würden. Die Rathenower Straße 16 in Mitte soll ihnen als Zwischenlösung zur Verfügung gestellt werden, finanzielle Ansprüche für die Weiternutzung der Potse 180 sollen zurückgezogen werden. 

Die Vertreter:innen von Potse und Drugstore erinnerten daran, dass sie den Bunker in der Pallasstraße als gemeinsames Ersatzquartier eingefordert hatten. Der Umbau sei als zu teuer abgelehnt worden, doch die nun entstandenen Kosten hätten ihn wahrscheinlich rentabel gemacht. Generell fehlt ihnen größere Wertschätzung von Jugendarbeit in Selbstverwaltung. Seit den 1970er-Jahren hätten Generationen von Jugendlichen davon profitiert. „Wir wollen nicht mehr bei jeder Forderung, die wir stellen, als Pickel am Arsch des Jugendamts behandelt werden.“

Wagenplätze gelten immer noch als dubios und sind rechtlich nicht abgesichert

Auch Kerstin Albrecht vom Wagenplatz „Wagenkunst Rummelsburg“ berichtete von vergeblichen Versuchen, an verantwortliche Stellen und verantwortliche Menschen zu geraten. Seit 18 Monaten suchen die Bewohner:innen des Wagenplatzes einen neuen Standort. „Wir waren im Abgeordnetenhaus, haben einen Runden Tisch mit vier Bezirken initiiert, über 100 Grundstücke gescoutet, eine Datenbank angelegt, Flächennutzungspläne studiert und Katasteramtsanfragen gestellt“, erzählte sie.  Die Bewohner:innen hätten mit Investoren gesprochen, sich juristisch informiert, PR betrieben, eine Website erstellt, Vernetzungstreffen, Kampagnen und Demos organisiert. Bewusst hätten sie und andere Wagenplätze darauf verzichtet, Flächen zu besetzen, um die Verhandlungen nicht zu stören. Das Ergebnis sei jedoch ernüchternd: Sie hätten noch immer kein Ersatzgrundstück, die mündliche Zusage für die Bucht laufe nun aus. Sie verhandelten gerade mit dem Bezirk über einen Platz, der brachliegt, aber da sei noch nichts spruchreif. 

„In der Politik ist niemand richtig zuständig, niemand kann entscheiden“, beklagte Albrecht. Die Wagenplatzgemeinschaft fordere daher, ihr geeignete Flächen zu Verfügung zu stellen, Wagenplätze zu legalisieren und bauordnungsrechtlich abzusichern. Dafür müsse eine zuständige Stelle in der Verwaltung eingerichtet werden.

Stadtentwicklung geht besser: Mitbestimmung bewirken und gestalten

Ohm betonte, die Fragen der Angliederungsform und der Wirkungsweise einer solchen Stelle seien hochkomplex. Als gutes Beispiel nannten Haberer und Ohm die neue Verwaltungsorganisation Ludwigsburgs: Die Stadt hat ein Referat „Nachhaltige Stadtentwicklung“ eingerichtet, in das die drei Dezernate Mitarbeiter:innen entsenden. Dezernat I (Wirtschaft, Kultur, Verwaltung), Dezernat II (Bildung, Sport, Soziales) und Derzernat III (Bauen, Technik, Umwelt) arbeiten so unmittelbar zusammen.  und damit der Versäulung der Verwaltungen entgegenwirken. „Auch wenn Berlin parallel auch noch eine Landesebene hat, wäre so eine Art Satellit auf kommunaler Ebene in Berlin denkbar“, sagte Ohm. 

Maria Haberer und Iver Ohm präsentierten ihr Papier mithilfe einer Reihe von Folien: „Taskforce für bedrohte Räume und Schiedsstelle für Problemfälle in Stadtentwicklungsprozessen. Ein Diskussionspapier zur notwendigen Erweiterung intermediärer Strukturen in Berlin“. Es fordert den Senat auf, sich mit einer Schiedsstelle für akute Probleme in Stadtentwicklungsprozessen zu befassen.

Die AKS Gemeinwohl Berlin wiederum erweise sich als eine beispielhafte Bürger:innenorganisation und ein geeignetes Instrument der Mitbestimmung. Sie ging aus jahrelanger stetiger Mitarbeit in Initiativen und Stadtpolitik hervor. Das Zusammenspiel von Zivilgesellschaft, BVV, Bezirksamt und Trägerverein „jenseits einer Beschwichtigungskultur“ sei wichtig für die Entwicklung einer Taskforce.

Eine Taskforce benötigt Macht und einen Platz in der Verwaltung

In den Stellungnahmen der Politiker*innen wurde der Vorschlag, eine Taskforce und Schiedsstelle einzurichten, grundsätzlich positiv aufgenommen. Allerdings müsste der Stelle auch Macht zukommen, wie Katrin Schmidberger erklärte: „Wenn es eine solche Taskforce gäbe, müsste sie auf Grundstücke zugreifen können, einen Pool und entsprechende Informationen haben.“ Entsprechend sei zu überlegen, wo die Stelle angesiedelt sein sollte. Zugriff auf die Grundstückspolitik habe die Senatsverwaltung für Finanzen, die auch ressortübergreifend agiere, aber auch die Senatskanzlei. Auch Katalin Gennburg sah die Stelle beim Regierenden Bürgermeister am richtigen Platz, wäre aber auch für andere Vorschläge zu haben. Wenke Christoph betonte, die Stelle müsste „mit einem Bein in der Verwaltung und einem Bein bei den Initiativen stehen.“

Thorsten Wöhlert, Staatssekretär für Kultur und Europa, plädierte ebenfalls für eine Ansiedlung der Stelle bei der Senatskanzlei, warnte aber: „Es gibt in dieser Stadt nichts Komplizierteres als etwas Ressortübergreifendes.“ Es gelte auf der einen Seite, Verdrängung zu verhindern, auf der anderen Seite, neue Räume zu finden, langfristig zu sichern und einer Verwertungslobby zu entziehen. Das laufe auf öffentlichen Besitz hinaus. Im Bereich Kultur hätten sie dafür mit dem Kulturraumbüro einen Ansatz gefunden. Um Räume zu finden und zu halten, kooperierten Dienstleister:innen, die Berliner Immobilienmanagement GmbH BIM, die Gewerbesiedlungs-Gesellschaft mbH GSG , der Berufsverband bildender Künstler:innen bbk und Vertreter:innen der freien Szene. 

Hinsichtlich der Kompetenz einer Taskforce empfahl er, sie mit einer Stimme im Portfolioausschuss auszustatten, in dem über jede öffentliche Immobilie gesprochen wird. Wöhlert schlug außerdem vor, zehn oder zwölf Expert:innen bei der Stadt anzustellen, die Flächen finden und entwickeln sollten sowie im Umgang mit Verwaltungen, Eigentümer:innen, Anwält:innen, privaten Investor:innen et cetera geübt seien. „Die könnten sie gewissermaßen ausleihbar sein, das heißt, wenn ein Problem aufgetreten ist, mit ihrem Know-how für den notwendigen Zeitraum etwa einem Projekt zur Seite stehen.

Ohnmacht und Wut: Projekte fliegen raus, und niemand fühlt sich zuständig

Iver Ohm erinnerte die Vertreter:innen aus Politik und Verwaltung an dieser Stelle, nicht nur auf ihr Papier und die Fragestellungen zu den intermediären Strukturen zu reagieren und bat die Ini-Vertreter:innen noch einmal darzulegen, wo es ihrer Meinung nach Unterstützung braucht, an welchen strukturellen Punkten es hapere und welche Fragen noch einer Antwort bedürfen. Hier zeigte sich leider wie viel zu oft, dass es Politik und Verwaltung an klaren und verbindlichen Zusagen mangelt.

Ihre Antworten zeugten von Ohnmacht und Wut: Christian vom Syndikat drängte auf Regelungen oder sogar „einen Milieuschutz für Gewerbe, damit Leute wie wir nicht nach fast 35 Jahren aus unseren Räumen verdrängt werden, weil ein Investor andere Pläne hat oder einfach nur Leerstand lukrativer findet.“ Auch er kritisierte, dass Zuständigkeiten zwischen Bezirk, Senat und Bund hin- und hergeschoben würden. Paul von der Potse stellte fest, „dass es keine Räume für Jugendliche mehr gibt, weil der Senat alles verbaut und verplant hat.“ Es gebe offenbar kein politisches Interesse daran,  solche Flächen zu erhalten, „aber eines daran, uns gewaltsam räumen zu lassen.“ Warum würden ihnen keine Räume zur Verfügung gestellt? Die Rathenower Straße beispielsweise oder der Flughafen Tempelhof, der komplett leer stehe. Auch, wenn Vertreter:innen von Politik und Verwaltung den Zustand anerkannten, fehlte es an klaren Bekenntnissen für eine Lösung.

Im weiteren Verlauf des Abends wurde deutlich, dass das Wissen über freie Grundstücke streng gehütet wird. „Transparenz über die vorhandenen Flächen ist notwendig“, sagte Katrin Schmidberger.  Die werde aber nicht freiwillig kommen, sie müsse erkämpft werden. Georg Kössler, Sprecher für Umwelt und Clubkultur der Grünen, sprach von seinen Erfahrungen mit der BVG: Sie wolle ungenutzte Flächen nicht nennen und hüte sie wie einen Schatz. Es sei Aufgabe der Abgeordneten, die Exekutive zum Handeln aufzufordern und beispielsweise eine Liste anzufordern, auf der sich alle Immobilien finden, die seit mehr als einem Jahr leer stehen. Dabei betonte er auch selbstkritisch, dass die Zivilgesellschaft und Initiativen der Politik und Verwaltung scheinbar noch mehr „in den Hintern treten“ muss. Das ließen sich die Vertreter:innen von Potse und Drugstore nicht nehmen um zu hinterfragen, wie viel mehr sie das noch tun müssten, damit etwas passiert: „Was muss denn erst passieren, damit Jugendliche und selbst verwaltete Jugendzentren ernst genommen werden?“ Womit sie wohl vielen Vertreter:innen der Zivilgesellschaft aus der Seele gesprochen haben.

Eine Quote für freigewordene Flächen bei den landeseigenen Unternehmen?

Erstaunlich begeistert wurde der Vorschlag von Katalin Gennburg akzeptiert, die Pleiten von Gewerbemieter:innen in Räumen der landeseigenen Gesellschaften zu nutzen. Viele würden ihre Räume jetzt oder in nächster Zukunft aufgeben. Denkbar wäre beispielsweise, von diesen leerstehenden Gewerbeeinheiten eine Quote von einem Drittel für bedrohte Projekte sofort zur Verfügung zu stellen. Ülker Radziwill stimmte dem Vorschlag zu, gab aber zu bedenken, dass bisher unbekannt sei, um wie viele leer stehende Gewerberäume es sich handele und eine Quote eine Regelung scheitern lassen könne. „Priorität hat für mich erst einmal, dass die bedrohten Projekte Ersatzstandorte bekommen.“ Generell sei darauf zu achten, dass die Gewerbe gerecht neu vermietet würden. Elisabeth Steffen vom  Vorstand der Clubcommission konnte sich vorstellen, die Hälfte der frei werdenden Flächen für eine soziokulturelle Nutzung vorzuhalten.

Kooperatives Baulandmodell für Gewerbe – der runde Tisch Liegenschaftspolitik prüft

Andreas Krüger, von der Initiative „Stadt neu denken“ und auch am runden Tisch Liegenschaftspolitik vertreten, brachte ein kooperatives Baulandmodell für Gewerbe ins Spiel, das in seiner Organisation diskutiert wird: Bei privaten Vorhaben könnten Investor:innen verpflichtet werden, einen bestimmten Prozentsatz an Fläche für soziokulturelle Nutzung zu einem gedeckelten Mietpreis und mit Mindestdauer bereitzustellen. Gerade werde juristisch geprüft, was in Bezug auf Preise, Vergabe und Vertragssicherheit möglich sei und wie man das Modell in städtebauliche Verträge übertragen könne. Auch er drang darauf, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft einen Sitz im Portfolio- und im Steuerungsausschuss zu geben. Strategisch gelte es, alles dafür zu tun, dass Berlin eine neue GSG, eine Gewerbesiedlungsgesellschaft, bekomme. Die Idee einer Schiedsstelle und einer Taskforce sollte unbedingt in die Diskussionen und Weiterentwicklungen der Wahlprogramme eingebracht werden, ebenso in die Haushaltsberatungen. Zudem liefere die Neuverhandlung der Berliner Bauordnung eine gute Gelegenheit, neue Bereiche einzubringen und damit verpflichtend zu machen. 

Elisabeth Steffen sprach zum Abschluss von Hausaufgaben: „Die Projekte, die sich heute vorstellten, haben ihre gemacht – jetzt sind andere dran.“ Sie forderte die Politiker:innen auf, die Ergebnisse der Runde mitzunehmen und in ihre Beratungen einfließen zu lassen. Das IniForum wird die weitere Entwicklung begleiten, beobachten und darüber berichten.