Von Ratten und Miethaien

Ein neuer Krimi von Wolfgang Schorlau führt in die Milieus skrupelloser Immobilien-Manager und renitenter Mieterinitiativen. Wir veröffentlichen hier eine Buchrezension von Wolfgang Pommrehn.

Der Immobilienmarkt ist eine Mördergrube. Mieter können davon ein Lied singen. Nicht nur in Berlin. Zwangsräumungen, auch von alten und schwerkranken Mietern, sind an der Tagesordnung. Schikanen, unbegründete Forderungen und Verdrängung per Modernisierung sowieso. Der Fantasie manches Vermieters scheinen keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, Altmieter zu vertreiben um Mieten in die Höhe prügeln zu können. Manches davon ist legal. Deutschen Richtern und Gesetzesgebern ist nämlich das Recht auf Profit heilig, das Recht auf Wohnen in Würde und inmitten des gewohnten Umfeldes hingegen eher nebensächlich. Manches ist auch illegal. Doch auch das ist für die Täter selten ein Problem, denn das Verfolgungsinteresse der zuständigen Behörden ist eher begrenzt, und wehrt sich mal jemand, so mahlen Mühlen der Justiz langsam. Sehr langsam.
Viel Stoff für einen Krimi, hat sich da der Bestseller-Autor Wolfgang Schorlau gedacht. Anfang November erschien sein neuer Dengler-Krimi, den er in Berlin ansiedelt. In „Kreuzberg Blues“ geht es um die Nöte der Menschen, die diese Stadt am laufen halten, aber sich kaum noch leisten können, in ihr zu wohnen. Es geht außerdem um das Streben nach immer höherer Rendite, um fast schon pathologische Manager, um aggressive Nager, um sich wehrende Mieter und auch ein bisschen um Kapitalismus-Kritik. Der Krimi ist neben anderem auch eine Hommage an die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“. In den Nebenrollen treten außerdem der tiefe Staat, anthroposophische Impfgegner und Leerdenker auf.

Ein paar Mietshäuser an der alten Sektorengrenze. Ein Immobilienunternehmen will seine Mieter aus den Wohnblöcken vertreiben, um mit kräftigem Aufschlag neu vermieten zu können. In einem der Häuser sollen mitten im Winter die Fenster ausgetauscht werden. Die neuen sind noch nicht da, aber ein Abrisstrupp will die alten schon mal rausreißen. Die Mieter sind empört und wehren sich. Vorerst erfolgreich. Gleichzeitig werden im Nachbarblock Ratten ausgesetzt. Besondere Ratten, extrem aggressiv. Einem Baby wird von einem der fiesen Nager ein Fingerglied abgebissen. Die junge Mutter ist verzweifelt und ruft eine gute Freundin in Stuttgart an.


Wie der Zufall es will, arbeitet deren Lebensgefährte Georg Dengler, einst Zielfahnder beim BKA, heute in der Schwaben-Metropole als Privatermittler. Zuletzt war er eher damit beschäftigt, Manager-Gattinnen über die Puffbesuche ihrer weniger guten Hälften während der Frankfurter Automobilmesse aufzuklären.


Doch die ist vorbei, also macht sich das Paar auf an die Spree. Dengler hat einen neuen Fall. Nebenbei hofft er, seinen dort lebenden Sohn zu treffen, der ihm schon bald einiges über die Geschichte des Homo Sapiens und die Gefährlichkeit des Kapitalismus erzählen wird. Hier und da ein bisschen lehrbuchmäßig rezitierend, aber durchaus kluge Gedanken. Eigentlich scheint der Fall klar. Kröger Immobilien baut nicht nur neue Häuser, sondern macht Geld vor allem mit alten Immobilien.Das geht natürlich nur, wenn im Bestand die Mieten mächtig in die Höhe getrieben werden. Banken und Investoren wollen ihr Kapital schließlich kräftig verzinst bekommen. Der Besitzer der Häuser hat also ein lupenreines Motiv für die Rattenattacke.


Die Mieter sind empört und sich ziemlich sicher, aber Dengler will es genauer wissen. Er hört sich um, nimmt den leugnenden Sebastian Kröger unter die Lupe, befragt den Kette rauchenden Rentner vom Balkon und zwei eingeschüchterte Fans feuriger Autos. Dengler hört von Entmietungsagenturen und einer mysteriösen schönen Russin, mit deren Dobermännern er Bekanntschaft machen muss. Hat sie den Ratten-König beauftragt? Und was sind das überhaupt für komische Viecher? Für gewöhnlich sind Ratten doch hartnäckig, aber scheu. Sie meiden das Tageslicht und vor allem den Menschen. Doch diese sind förmlich Kampfratten. Wo bekommt man solche Exemplare? Ein Fall für Denglers Freundin Olga, eine begnadete Hackerin, deren Computerkünste manches zur Aufklärung des Falles beitragen werden.
Doch dann lässt Dengler sich von Kröger einstellen. Hat er etwa die Seiten gewechselt? Spielt jemand ein Doppelspiel? Oder hat Kröger recht, der von eigenartigen Problemen auf Baustellen und in Wohnhäusern berichtet, die seinen Geschäften immer wieder Knüppel zwischen die Beine werfen? Denn im Haifischbecken des Berliner Immobilienmarktes ist er eher ein kleiner Fisch, eine andere Liga als etwa die Deutsche Eigentum, ein aus dem Nichts entstandener Immobiliengigant, an dessen Wiege einst Landespolitiker standen, die öffentliches Eigentum verschenkten. Wohnungen wurden für weniger als 10.000 Euro das Stück verkauft, aber nicht an die Mieter, sondern Fonds und schließlich an die Deutsche Eigentum.
Deren Geschäfte gehen so gut, dass sich ganz verschiedene Gruppen für sie zu interessieren beginnen. Dengler lernt eine Initiative kennen, die Deutsche Eigentum enteignen will, und die Leserinnen und Leser den Billionen-Euro schweren Kapitalfonds Blackhill sowie dessen unsympathisches Personal. Ähnlichkeiten mit Namen realexistierender Bürgerinitiativen und Unternehmen sind nicht ganz zufällig, sodass wir nebenbei auf unterhaltsame Weise informiert werden, wie egomanische Manager ticken und welcher Kapitallogik sie folgen.
In einer Nebenerzählung geht es um die Aktivitäten eines rechten, bestens in Militär, Polizei und Geheimdiensten verdrahteten Netzwerks mit langer Tradition. Dort macht man sich vor allem wegen der Enteignungs-Initiative Sorgen, die den gesellschaftlichen Diskurs nach links verschiebt, und denkt über einen Mord nach – über einen Märtyrertod für die Sache des Kapitals –, der den Mieterinitiativen in die Schuhe geschoben werden könnte. Abenteuerliche Spekulation eines Krimiautors? Kaum. Die Aktenvernichtungen der diversen Landesämter für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit den Untersuchungsausschüssen rund um die Naziterror-Organisation NSU sind legendär, genauso wie verschiedene eigenartige Todesfälle von Zeugen, die vor den Ausschüssen Licht ins Dunkel des Nazi-Untergrundes und seiner Verbindungen zu den Geheimdiensten hätten bringen sollen.


Auch sonst häufen sich seit Jahren die Hinweise auf rechte, im Geheimen in Militär- und Polizeikreisen operierende Netzwerke. Siehe hierzu zum Beispiel „Hannibals Schattenarmee“ in der taz vom 16.11.18 über ein Untergrundnetzwerk, das von einem Soldaten der Bundeswehreliteeinheit KSK aufgebaut wurde. Fiktion mögen die Akteure, Pläne und Aktionen des von Dengler beschriebenen Netzwerkes sein, doch die beschriebene Logik ist ziemlich real, wenn auch nichts für naive Gemüter.

Ach ja, Tote gibt es auch, aber eigentlich eher in Nebenrollen und für den Spannungsbogen fast unwichtig. Alles in allem eine unterhaltsame, spannende und lesenswerte Lektüre, bei der man auch noch hin und wieder schmunzeln und sogar ein bisschen was lernen kann. Der Autor – Stuttgarter wie sein Protagonist – hat sich bei seinen Berliner Recherchen unter anderem mit dem linken Stadtsoziologen Andrej Holm und der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ beraten. Über das Ende des Krimis kann man sich sicherlich lange streiten. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es mir gefällt.

Wolfgang Schorlau, „Kreuzberg Blues“, Kiepenheuer & Witsch, 413 Seiten, 22 Euro.

Bildquelle: Kiepenheuer & Witsch