Abriss und Verdrängung: Leistbaren Wohnraum sichern, aber wie?
Viele Häuser, die in den Nachkriegsjahren entstanden und deren Bau staatlich gefördert wurde, bieten selbst heute noch leistbaren Wohnraum. In den Innenstadtlagen wecken sie das Interesse der Immobilienwirtschaft: Nach einem Abriss können die Grundstücke mit Eigentumswohnungen oder hochpreisigen Mietwohnungen wie Mikro-Appartements bebaut werden. Was geschehen muss, damit die Mieter*innen geschützt werden und die Häuser erhalten bleiben, war Thema des achten Hearings vom IniForum.
Die Vertreter der beteiligten Initiativen waren Daniel Dieckmann von der IG Habersaathstraße und Wolfgang Mahnke sowie Klaus Helmerichs von der MieterWerkStadt Charlottenburg, flankiert von Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Für den Senat und das Abgeordnetenhaus nahmen teil: Ülker Radziwill (SPD), Staatssekretärin für Mieterschutz und Quartiersentwicklung, Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen, Mieten und Haushaltspolitik, Julian Schwarze, Sprecher für Stadtentwicklung, Tourismus und Clubkultur (beide Bündnis 90/Die Grünen) und Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung und Bauen, Umwelt, Tourismus (Die Linke). Moderiert wurde das Hearing von Anastasia Blinzov.
Sebastian Bartels führte in das Thema ein, das er als „soziales, wohnungspolitisches Dilemma“ bezeichnete und das auch aus ökologischer Sicht zu betrachten sei. Der Abriss verursache mehr CO2 als die Sanierung, habe die Deutsche Umwelthilfe ermittelt. „Da müsste man die Bauordnung ändern.“ Er nannte zunächst die Zahlen: von insgesamt 1.000.933 Berliner Wohnungen seien 678.000 zwischen 1949 und 1978 entstanden, das seien fast so viele wie die bis 1948 errichteten Altbauten. Mehr als ein Drittel des Bestandes seien Nachkriegsbauten, die Hälfte hiervon stammten aus den 50er und 60er Jahren, der Rest aus den 70ern.
Die Wohnungen in den Häusern seien klein, mit praktischen Grundrissen, die Höfe oft durchgrünt. Die Gebäude hätten grundsätzlich Potenzial für energetische Modernisierungen und für Dachgeschossausbauten. Hinzu käme ein soziales Potenzial: In den Wohnungen lebten viele ältere, finanziell eher schlecht aufgestellte Bewohner*innen, doch die Wohnungen seien in der Regel recht preiswert. Bartels nannte ein typisches Beispiel aus dem Mittelfeld des Mietspiegels: „Errichtet zwischen 1950 und 1964, gute Wohnlage, 40 bis 60 Quadratmeter, 6,59 Euro pro Quadratmeter.“ Der Mittelwert in den Altbauten bis 1918 betrage 8,13 Euro pro Quadratmeter.
Seit 2010 seien die Nachkriegsbauten immer häufiger an mittelgroße Eigentümer beziehungsweise Fondsgesellschaften verkauft worden, die dann auf verschiedenen Wegen ihre Mieter*innen dazu bewegen auszuziehen. Im Hintergrund werde dann schon der Antrag auf Abrissgenehmigung vorbereitet. Statistisch seien Abrisse in Berlin schwer nachzuvollziehen. Nach Berechnungen des Berliner Mietervereins seien jedoch zwischen 1995 und 2011 jährlich mutmaßlich rund 2.500 Wohnungen durch Abriss vernichtet worden, zwischen 2015 und 2021 etwa 3.000 Wohnungen pro Jahr.
Der Berliner Mieterverein, so Bartels, sehe dringenden Handlungsbedarf, das Zweckentfremdungsverbotsgesetz nachzuschärfen. Es reiche nicht, hier und da mal in eine Verordnung oder die Ausführungsvorschrift zu schauen: „Das Wichtigste muss im Gesetz selbst geregelt sein.“
Jedes Jahr zum ersten Mai erhalten die Mieter*innen die Kündigung
In einem Haus mit leistbaren Mieten wohnt seit fast 20 Jahren auch Daniel Dieckmann, Sprecher der Interessengemeinschaft Habersaathstraße. Die sogenannte Papageienplatte mit 120 Wohnungen war ein Schwesternwohnheim in der Nähe der Charité, das 1984 erbaut wurde und 2006 vom Land Berlin für 2,02 Millionen Euro verkauft wurde. Gleich darauf, berichtet Dieckmann, wurde das Gebäude energetisch saniert, auf dem Dach eine Photovoltaik-Anlage installiert: „Die Kosten von 720.000 Euro finanzieren die Mieter*innen mit einer Modernisierungsumlage von elf Prozent.“ Gute zehn Jahre später, 2017, ging der Komplex offenbar für 20 Millionen Euro an einen Investor, die Arcadia Estate GmbH. Die Firma begann sofort mit der Entmietung, so Dieckmann. Es habe Angebote an die Mieter*innen gegeben, unter ihnen viele Pflegekräfte, gegen eine Abfindung auszuziehen. Den letzten zwölf Parteien wurden 30.000 Euro für ihren Auszug angeboten. Heute leben drei Hausgemeingeschaften in der Papageienplatte: Die Altmieter*innen, ukrainische Bauarbeiter samt ihren Familien und vormals Obdachlose, die nach einer Besetzungsaktion in leere Wohnungen einzogen.
Die Arcadia Estate GmbH will abreißen und neu bauen. Dafür nutzt sie die sogenannte Verwertungskündigung. Mit solchen Kündigungen erklären Eigentümer, die Rendite innerhalb der nächsten zehn Jahre reiche nicht aus, ihr Haus instandzuhalten. Dieckmann hat eine solche Verwertungskündigung in das Hearing mitgebracht: Sie entspricht einem Buch von 160 Seiten. Jedes Jahr zum ersten Mai erhielten die verbliebenen Mieter*innen die Kündigung.
Dieckmann und seine Mitstreiter*innen führen den Kampf gegen ihre Verdrängung und den Abriss seit 15 Jahren. Er appellierte an die Landespolitik: „Es kann nicht sein, dass erst jemand das Haus verrotten lässt, um dann die Abrissgenehmigung zu bekommen.“ In diesen Fällen müsse ein Treuhänder eingesetzt werden, um die Wohnungen wieder auf den Mietenmarkt zu bringen. Die IG Habersaathstraße schlägt außerdem vor, Gegen- und Verkehrswertgutachten durch die Bezirke oder das Land Berlin erstellen zu lassen, um die Absurdität dieser Projekte darzulegen. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen könne man nach dem Baugesetzbuch damit stoppen und auch den Abriss verhindern, der als letzte finanziell lohnende Möglichkeit nur Eigentumswohnungen erlaube. Der Abriss von Wohnhäusern schaffe in der Regel keine einzige Wohnung mehr und bezahlbare Wohnungen ohnehin nicht. Die IG Habersaathstraße fordert eine Rekommunalisierung ihrer Häuser.
Eigentumswohnungen für 29.933,90 Euro pro Quadratmeter
Wolfgang Mahnke von der MieterWerkStadt Charlottenburg erinnerte in seinem Redebeitrag daran, dass die Vereinigung „Architects for future“ dem Bauministerium bereits einen Vorschlag für eine Umbauordnung übergeben habe. Diese solle in die Musterbauordnung einfließen und jeden Abriss unter den Vorbehalt der Klimaneutralität stellen: „Das heißt, eine Lebenszyklus- und eine Lebenszyklusaufwendungsbilanz müssten vorgelegt werden, um nachzuweisen, dass Abriss und Neubau weniger klimaschädlich wären als der Umbau des bestehenden Gebäudes. Mit einer solchen Verordnung wäre ein Teil der Abrisse nicht mehr genehmigungsfähig.“ Im Koalitionsvertrag fänden sich allerdings weder explizite noch allgemeine Aussagen zur Genehmigung von Abriss.
Unterdessen profitiere die Immobilienwirtschaft von ihrem Geschäftsmodell, funktionsfähige Nachkriegsbauten abzureißen, um sie durch lukrativen Neubau zu ersetzen, sagte Mahnke und nannte als Beispiel die Fasanenstraße 64 in Charlottenburg. Das bewohnte Gebäude, Ende der 60er-Jahre mit öffentlichen Mitteln gebaut, musste einem Neubau weichen. Die neu entstandenen Eigentumswohnungen werden für einen Quadratmeterpreis von 29.933,90 € angeboten. Die MieterWerkStadt ist in mehreren weiteren Fällen den Verfahren nachgegangen. Die Immobilienbesitzer begründeten ihren Antrag auf Abrissgenehmigung stets damit, dass sich die notwendigen Investitionen in das Gebäude nicht innerhalb von zehn Jahren über die Mieten einspielen ließen – diese zeitliche Grenze sehen die Ausführungsvorschriften des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes vor. Dazu legten sie ein Gutachten eines einschlägig bekannten Gutachters vor, der immer zum gewünschten Ergebnis komme. Die beteiligten Ämter unterzögen diese Gutachten nur einer näheren Prüfung, wenn sie ihnen unplausibel erschienen. Nie werde ein Ortstermin anberaumt, um überhaupt den Sachverhalt zu prüfen oder Fälle von unterlassener Instandhaltung zu ermitteln. Dies liege selbstverständlich an fehlenden Stellen. Doch auch eine reformierte Baugesetzgebung, die etwa eine Lebenszyklusaufwendungsbilanz verlange, würde eine bessere personelle Ausstattung der Bezirke erfordern.
Mahnke kritisierte auch die Grundlagen, auf denen ein sogenanntes Negativzeugnis ausgestellt wird. Das Negativzeugnis ermöglicht Eigentümer*innen, nach dem Abriss bewohnter Gebäude Geschäftshäuser zu errichten. Sie argumentieren auch hier mit der Zehn-Jahres-Frist für die Refinanzierung von Instandhaltungsmaßnahmen. In manchen Bezirken, das habe eine kleine Anfrage des Abgeordneten Niklas Schenker (Die Linke) ergeben, erhielten Eigentümer*innen noch bewohnter Gebäude grundsätzlich kein Negativzeugnis. In anderen Bezirken würde es ausgestellt, so etwa für ein Grundstück in der Schlüterstraße, auf dem der Eigentümer ein Kommunikationszentrum errichten wolle. Wer also vergesse, sich ein Negativzeugnis ausstellen zu lassen, sei verpflichtet, Ersatzwohnraum zu errichten – das sei eine aberwitzige Ungleichbehandlung. Durch geänderte Ausführungsvorschriften müsse eine einheitliche Praxis hergestellt werden.
Er schloss mit einem Appell, die Zehn-Jahres-Frist zu überdenken. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht diese Frist in seinen Urteilen bestätigt. Es habe sich dabei allerdings immer nur auf ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts von 1982 bezogen. „Damals galt in Berlin aber noch die Mietpreisbindung, und die Kaufpreise für Wohnhäuser lagen zwischen dem Sechs- bis Zwölffachen der Jahresmiete“, berichtet Mahnke. „Heute liegen die Preise je nach Lage zwischen dem 20- und 40-fachen.“ Man könne einen anderen Wert als zehn Jahre in die Ausführungsvorschriften setzen oder festlegen, wie die Bezirke den Refinanzierungszeitraum zu berechnen hätten – zum Beispiel anhand der Marktpreise der letzten fünf Jahre, daraus ergäbe sich dann der Multiplikator. „Wären im Schnitt 30 Jahre die angemessene Refinanzierungsfrist, könnten viele Abrisse abgewendet werden.“
Bewohnte Häuser per Gutachten für unbewohnbar erklärt
Klaus Helmerichs von der MieterWerkStadt Charlottenburg fasste zusammen, welche Konsequenzen sich aus Sicht der Initiative ergeben. Der Blick müsse stärker auf den Bestand gelenkt werden: Anzusetzen sei daher bei der Bestandssicherung und der unterlassenen Instandhaltung und Sanierung. Nach den Kriterien des mehrfach genannten Gutachters müsste die gesamte Berliner Innenstadt abgerissen werden. Der zuständige Stadtrat, angesprochen auf die zweifelhafte Glaubwürdigkeit der Gutachten, habe erklärt, dass er doch einen beeidigten Gutachter nicht anzweifeln könne.
Helmerichs forderte eine komplette behördliche Sachverhaltsprüfung, ebenfalls müssten die Kosten unterlassener Instandhaltung aus den Kosten, die man laut den Ausführungsbestimmungen zum Zweckentfremdungsverbotsgesetz veranschlagen kann, herausgerechnet werden. Zudem müsse der Refinanzierungszeitraum den gestiegenen Bodenpreisen angepasst werden. Vor Ausstellung eines Negativzeugnisses müsse grundsätzlich die Frage geklärt werden, ob es sich bei bewohnten Häusern überhaupt um unbewohnbaren Wohnraum handeln könne. Da müsse kein Wohnraum im Sinne der gesetzlichen Vorschriften erstellt, sondern allenfalls vorhandener Wohnraum verbessert werden. Die Grundvoraussetzungen für ein Negativzeugnis seien in der Regel nicht gegeben.
Die Forderung, Abriss nur bei Klimaneutralität zu genehmigen, falle in den Debatten immer stärker ins Gewicht, doch sei Klimaschutz in der Praxis bislang kein Kriterium – „außer für Mietsteigerungen.“ Dabei müsse sich auch die Immobilienwirtschaft der Thematik stellen und vor allem auch finanziell in Anspruch genommen werden. Wohnungs- und Bauämter müssten personell und durch Schulungen dringend gestärkt werden, Mieter*innen müssten außerdem umgehend über einen Antrag auf Abrissgenehmigung für ihr Haus informiert werden.
„Alles, was den Abriss erschwert, ist in meinem Interesse.“
In ihrer Antwort an die Initiativen erklärte sich Ülker Radziwill, Staatssekretärin für Mieterschutz (SPD), mit dem Thema Abriss aus ihrer Zeit als Abgeordnete in ihrem Charlottenburger Wahlkreis vertraut. „Da müssen noch Instrumente gefunden werden, die die Mieterschaft stärken“, sagte sie. Sie sei bereit, diese zu organisieren. Wichtig sei, dass die Mieter*innen zusammenblieben, denn oft sei es so, dass die Mieterschaft durch Geldzahlungen gespalten werde. Angesichts des Drucks müssten die Mieterberatungsstellen noch erweitert und weiter gestärkt werden. Sie empfahl den Abgeordneten, sich in den Haushaltsberatungen dafür einzusetzen. Die konkreten Vorschläge für die Verordnung werde sie intensiv prüfen lassen: „Alles, was den Abriss erschwert, ist in meinem Interesse.“
Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz nachzuschärfen, sah Radziwill kritischer, weil es bisher allen Klagen standgehalten habe. Bei allen potenziellen Änderungen müsse auch darauf geachtet werden, dass es stark bleibe und nicht wegbreche. Der Fachberatung habe sie entnommen, dass in Bezug auf das grundgesetzlich geschützte Privateigentum eine Gratwanderung unternommen werden müsse. Die Vorschläge stünden dem ihrer Meinung nach zwar nicht entgegen, aber sie würde das gern noch genau prüfen lassen. Wenn Abriss schon durch die Verordnung erschwert würde, sehe man sie an der Seite der MieterWerkStadt Charlottenburg. Die Bauordnung, die in den Verantwortungsbereich eines Kollegen falle, müsse vielleicht in einer anderen Runde noch mal thematisiert werden. Den Lebenszyklus zu betrachten, erachtete sie als sinnvoll und wichtig. Diesen Aspekt habe das Land Berlin auch schon in die Vorbereitung zur Bauministerkonferenz und in das Statement der Bauminister eingebracht.
Radziwill bestätigte indirekt den unterschiedlichen Umgang der Bezirke mit Abrissanträgen und den Personalmangel. In manchen finde regelmäßiger Austausch zwischen den Bau-, Wohnungs- und Wohnungsaufsichtsämtern statt, in anderen müsse auf dessen Notwendigkeit wohl noch hingewiesen werden. Personell seien die Wohnungsaufsichtsämter nicht gut besetzt, die Wohnungsämter hingegen seien deutlich besser aufgestellt. Laut Koalitionsvertrag sei zu prüfen, ob diese beiden Ämter zusammengelegt werden sollten. Davon halte sie nach ersten Eindrücken erst mal nichts, könnte sich aber eventuelle Änderungen im Zuge einer neuen Aufteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten auf Bezirksebene vorstellen.
Laut BUND fallen in Berlin jährlich 4,1 Millionen Tonnen Baumüll an
Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung und Bauen, Umwelt und Tourismus (Die Linke) erklärte, Abriss und Verwertungsstrategien seien schon 2016 Themen in den Koalitionsvereinbarungen gewesen. Dennoch seien 369 Häuser im Jahr 2018 abgerissen worden, im Jahr 2021 schon 516 Häuser. „Dass sich die Abrisse auf Mitte und Charlottenburg konzentrieren, lässt eine knallharte Standortpolitik erkennen“, sagte sie. „Das ist die Auswirkung einer nicht minder knallharten kapitalistischen Verwertung von Stadtraum.“ Gennburg mahnte eine klimapolitische Scharfstellung an: Laut BUND seien die Zahlen sogar noch viel dramatischer als das, was zuvor schon genannt wurde. In Berlin fielen jährlich 4,1 Millionen Tonnen Baumüll an, gegenüber 0,8 Millionen Tonnen Haus- und Geschäftsmüll.
Zur angesprochenen Bauordnung sagte sie, diese werde vom Bausenator zurückgehalten: Die Fassung, die der Senat beschlossen habe, habe das Parlament noch nicht erreicht, das sei angesichts des großen Handlungsdrucks misslich. Das Problem, dass die Bauaufsicht in den Bezirken faktisch nicht mehr existiere, sei seit Jahren bekannt. Sie forderte Ülker Radziwill auf, hier unbedingt nachzusteuern.
Hinsichtlich der Zweckentfremdung forderte sie mit Blick auf das Beispiel Habersaathstraße eigene Sachverständige der öffentlichen Hand, um zu verhindern, dass zweifelhafte Gutachter weiterhin Oberhand behalten. Auch sie sehe das Problem, dass für die Wiederherstellung eines Hauses eine Amortisierung innerhalb von zehn Jahren stattfinden soll. Das könne so nicht bleiben. Ihr Fazit: Eine stärkere volkswirtschaftliche Betrachtung sei notwendig und damit einhergehend eine Entkoppelung von der Marktlogik. Sie plädierte für breitere Bündnisse mit Organisationen, die die Themen Abriss und CO2-Ausstoß der Bauwirtschaft längst auf die Tagesordnung gesetzt hätten wie der BUND, und es gelte auch, Mieter*innenrechte zu stärken.
Treuhänderregelung und Zweckentfremdungsverbot durchsetzen
Auch Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten sowie Haushaltspolitik (Bündnis 90/Grüne) erinnerte an den Koalitionsvertrag und daran, „dass wir das Gesetz so schärfen wollen, dass wir Abriss verbieten können.“ Eigentlich sollte die Reform nun angegangen werden. Sie hoffte, im Januar trotz Wahlkampfs mit der Auswertung beginnen können. Dazu müssten sie aber auch die Stadträtinnen aus den Wohnungs- und Wohnungsaufsichtsämtern dazuholen. Auch sie sähe das Problem der getrennt agierenden Ämter und dass es zwei unterschiedliche Gesetze gebe. Schon im Koalitionsvertrag von 2016 sei eine Zusammenlegung der beiden Ämter auf Bezirksebene vorgesehen gewesen. Ebenfalls gebe es einen entsprechenden Prüfauftrag im Koalitionsvertrag, die Gesetze zusammenzuführen, da die Grenzen von Wohnungsaufsicht und Zweckentfremdung oft fließend seien: „Eine der Varianten müssten wir unbedingt angehen.“
Sie begrüßte den Vorschlag, betroffene Mieter*innen frühzeitig zu begleiten. Ein Modell dafür sei möglicherweise die AKS in Friedrichshain-Kreuzberg, die Hausgemeinschaften über das Vorkaufsrecht informiert habe und ein Bindeglied zwischen den Ämtern und den Mieter*innen gewesen sei. In der Habersaathstraße sei das besonders schlecht gelaufen, hier habe der Eigentümer den Bezirk und die Mieter*innen gegeneinander ausgespielt.
Schmidberger berichtete außerdem von einem Treffen mit dem Mieterverein, bei dem dieser für den laut Zweckentfremdungsverbotsgesetz zu schaffenden Ersatzwohnraum sowohl feste WBS-Quoten von etwa 50 Prozent als auch eine Kopplung an die Bestandsmieten oder den Mietspiegel ins Gespräch gebracht habe – also Mieten diesseits der 9,17 Euro pro Quadratmeter.
Im Zusammenhang mit dem Mietendeckelbeschluss habe das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass Berlin sehr wohl das Recht habe, bei einem angespannten Wohnungsmarkt einzugreifen und dabei nur der Eigentumsfreiheit unterstellt sei. Sie hätten also eine große Freiheit und sehr viel Potenzial.
Für die Koalition sei es ein Armutszeugnis, dass sie es in der Habersaathstraße nicht geschafft hätte, die Treuhänderregelung sowie das Zweckentfremdungsverbot durchzusetzen. Der Rat der Bürgermeister habe darauf hingewiesen, dass ein Leitfaden für die Stadträt*innen erarbeitet werden müsse, in dem zum Beispiel geregelt werde, welchen Wohnungsstandard der Treuhänder herstellen müsse, wer dafür zahle etc.. „Ich hoffe, dass Mitte des kommenden Jahres die Gesetzesreform vorliegt.“
Den Wohnraum zu erhalten, liegt im Interesse des Gesetzgebers
In der anschließenden Diskussionsrunde bezeichnete Sebastian Bartels vom Mieterverein es als ein Missverständnis, dass im aktuellen Zweckentfremdungsverbotsgesetz das Eigentumsinteresse vorgehe. Im §3 heiße es aber auch: „Es gibt ein öffentliches Interesse am Erhalt des Wohnraums.“ Das öffentliches Interesse könne daher die privaten Interessen des Investors überwiegen. Zudem sei die Rede von „besonderen Ausnahmefällen“, in denen der Wohnraumverlust ausgeglichen werde. Das Wort „besondere“ mache ihn als Juristen hellhörig: „Der einfache Ausnahmefall reicht dem Gesetzgeber offenbar gar nicht?“
Er lese das Gesetz und stelle fest, dass der Gesetzgeber ein großes Interesse am Erhalt von Wohnraum habe und mit den Ausnahmen – Ersatzwohnraum zu maximal 9,17 pro Quadratmeter – sage: Eigentlich wollen wir das nicht. „Jetzt haben wir das aber in der Verordnung stehen.“ Deshalb sei es notwendig, das Gesetz zu ändern: „Alles Wichtige muss in das Gesetz.“
Wenn dem Eigentümer der Erhalt des Wohnraums zuzumuten sei, solle der auch keine Abrissgenehmigung erhalten.Bartels schlug außerdem vor, in den Ausführungsvorschriften festzuhalten, dass auch soziale und nicht nur städtebauliche, kulturelle und ähnliche Gründe eine Abrissgenehmigung verhindern können.
Eine Zuschauerin drang in ihrer Wortmeldung auf Verankerung der Klimaschutzaspekte von Abriss und Neubau im Gesetz. Es müsse für alle Bürger:innen sichtbar werden, dass Berlin sich für den Klimaschutz einsetzt, nicht zuletzt in Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Sommer, aus dem sich Verpflichtungen ergäben. „Ich wünsche mir als Bürger, dass in der Frage Abriss oder Erhalt der Klimaschutz als Querschnittsaufgabe verankert wird.“ Auch im Fall der Habersaathstraße, über den sie erst am heutigen Tag detaillierte Informationen erhalten habe, sei ein Abriss – noch dazu mit dem ganzen Sondermüll der energetischen und noch wirksamen Sanierung – höchst problematisch. Warum so etwas geschehe, müsse dann die Politik auch jungen Menschen erklären, sie könne das nicht.
Daniel Dieckmann stellte noch einmal heraus, dass der Erhalt von Gebäuden immer Mieter*innenschutz sei. Da könne unmöglich das Investoreninteresse im Vordergrund stehen. Die Habersaathstraße sei vom damaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin mit den Worten verkauft worden, für die Mieter ändere sich nichts. „Für die Mieter*innen hat sich aber alles geändert.“ Angesichts der Angebotspreise in der Nachbarschaft – im Tacheles-Areal von 34.000 Euro pro Quadratmeter und in der Schwarzkopffstraße von 40.000 – sei in der Habersaathstraße von ähnlichen Erwartungen der Arcadia auszugehen. Doch die Menschen seien keine Verschiebemasse. Wo sollten denn die Mieter*innen, nach Zehn-, Zwölf-Stunden-Schichten in der Pflege, hin? Zwei Stunden nach Brandenburg pendeln? Unter den Umständen würden die Leute aus ihrem Haus nicht weiter in der Pflege arbeiten.
Bevor Ülker Radziwill in ihrem Schlusswort daran erinnerte, dass neben der Bestandssicherung zielgerichtetes Bauen notwendig sei, bedankte sie sich für die Anregungen der Initiativen und des Mietervereins. Sie werde die aktuellen Änderungsvorschläge prüfen lassen und den Vorschlag der Gesetzesänderung gern bei einem Termin noch ausführlicher besprechen.