Wie das Haus auf die Straße geht
Defekte Fahrstühle, ausgefallene Heizungen, zweifelhafte Betriebskostenabrechnungen – Nachbar*innen können sich zusammentun und öffentlich gegen ihre Wohnsituation protestieren. Aber was dürfen sie, und was sollten sie vermeiden? Worauf ist zu achten, und welche Erfahrungen gibt es, die ihnen zugutekommen können? Unser FAQ gibt Antwort auf zentrale Fragen, die sich bei Organisierung und Protest ergeben.
Wir haben uns zu einer Hausgemeinschaft zusammengeschlossen, um gegen unsere Wohnsituation zu protestieren. Kann unsere Vermieterin uns deshalb kündigen?
Nein. Zusammenschlüsse sind in Deutschland erlaubt und sogar im Gesetz vorgesehen.
Wir wollen eine Hausversammlung veranstalten. Dürfen wir den Hof oder Flur des Hauses dafür benutzen? Dürfen wir Menschen, die nicht im Haus wohnen, wie zum Beispiel Lokalpolitiker*innen oder Journalist*innen, einladen?
Gemeinschaftsflächen eines Mietshauses, zu denen die Mieter*innen Zugang haben, dürfen für Versammlungen genutzt werden. Die Teilnahme hausexterner Personen kann nicht verboten werden.
Können wir Aushänge, die zur Hausversammlung einladen, im Flur anbringen?
Wandzettel sind im Hausflur beziehungsweise an den Wänden der Gemeinschaftsflächen des Hauses erlaubt. Sie dürfen nur nicht dauerhaft angebracht bleiben und müssen sich rückstandslos wieder beseitigen lassen. Ihr Inhalt darf außerdem nicht den Hausfrieden stören, also sich zum Beispiel nicht gegen andere Mieter*innen richten.
Wir haben die Einrichtung einer Website und von Social-Media-Accounts beschlossen. Worauf müssen wir achten?
Denkt an ein Impressum! Es muss gut erkennbar platziert werden und leicht zu finden sein. Auf Webseiten wird es meist separat verlinkt und der Link sichtbar im Hauptmenü und auf jeder anderen Unterseite platziert. Auf Social-Media-Kanälen muss es ebenfalls leicht erkennbar sein, zum Beispiel über Links oder Menüpunkte unter dem Titel „Impressum“, „Kontakt“ oder „Über uns“. Es gilt außerdem die sogenannte „Zwei-Klick-Regel: das Impressum muss für eine*n Seitenbesucher*in mit maximal zwei Klicks erreichbar sein. Bei Social-Media-Kanälen ist es unerheblich, ob der Weg der Klicks auf andere Bereiche des Kanals oder auf das Impressum auf der Webseite der Hausgemeinschaft führt.
Was muss im Impressum stehen?
Die Pflichtangaben im Impressum sind der Vorname, Nachname und die volle Anschrift eines*r „redaktionell Verantwortlichen“. Diese Person muss nicht selbst Teil der Hausgemeinschaft sein.
Wir wollen auf unserer Webseite einen Bericht über die Verdrängungspraktiken des*der Vermieters*in veröffentlichen. Worauf müssen wir achten?
Stellt sicher, dass die Fakten stimmen. Wenn Sachverhalte als Tatsachen behauptet werden, („Der Vermieter*in hat xy gesagt“; „Die Kündigung datiert vom xy“ usw.), müssen diese eindeutig belegbar sein, egal, wie banal sie erscheinen mögen. Jede Tatsachenbehauptung, die sich als falsch herausstellt, kann rechtlich gegen euch verwendet werden. Wenn Meinungen über Sachverhalte geäußert werden („Eine Maßnahme aus reiner Profitgier“; „Die Absicht des Vermieters ist es, uns zu verdrängen“), sollte sich die Empörung in Grenzen halten. Verwendet keine Schimpfwörter, keine Fäkalsprache und keine groben Beleidigungen. Überspitzung und Polemik sind im Rahmen der konkreten Auseinandersetzung erlaubt. Die Grenze zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung ist jedoch nicht immer eindeutig (siehe den Abschnitt „Die Kombination von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen“ im PDF). Die Namen von Privateigentümer*innen dürfen in den meisten Fällen nicht öffentlich genannt werden (s. auch den Abschnitt „Tipps: Öffentliche Äußerungen“ im PDF).
Welches Bildmaterial können wir nutzen?
Die Verwendung von Fotos, Videos oder Grafiken, die ihr nicht selbst gemacht habt, ist nur mit schriftlicher Einwilligung der Urheber*innen zugelassen. Aufnahmen von Häusern, Hausinnerem und Straßen dürfen veröffentlicht werden. Solche Aufnahmen, sowie solche von öffentlichen Versammlungen, auf denen Personen zu sehen sind, dürfen ohne deren Einwilligung veröffentlicht werden, wenn die Personen als sogenanntes „Beiwerk“ von Übersichtsaufnahmen nicht im Fokus stehen. Von Personen, die sich eigenständig in den Fokus der Öffentlichkeit begeben, beispielsweise. indem sie auf einer Kundgebung eine Rede halten, dürfen Aufnahmen gemacht und diese auch veröffentlicht werden.
Dürfen wir Plakate und Transparente am Haus anbringen, um unseren Protest im Kiez sichtbar zu machen?
Plakate an den Innenseiten der Fenster sind durch den/die Vermieter*in nicht zu beanstanden. Transparente an der Hausfassade und am Balkon sind eigentlich nicht erlaubt. Weil aber das Recht der Mieter*innen auf freie Meinungsäußerung dem Eigentumsrecht der Eigentümer*innen gegenübersteht, müssen Gerichte urteilen, unter welchen Bedingungen sie trotzdem zulässig sind. Die Rechtsprechung ist uneinheitlich, in Berlin jedoch überwiegend mieter*innenfreundlich. Es sollte ein konkreter, gesellschaftlich relevanter Anlass für das Aufhängen eines Transparents vorliegen, zum Beispiel ein Verdrängungsversuch. Das Transparent sollte selbstverständlich sicher befestigt sein, ohne das Gebäude zu beschädigen und den Gesamteindruck des Hauses und der Umgebung nicht zu sehr beeinträchtigen (zu große Transparente können problematisch werden). Parolen dürfen den/die Vermieter*in oder andere Personen nicht persönlich angreifen (s. den Abschnitt „Tipps: Transparente an der Hausfassade“ im PDF).
Wir wollen im Kiez Flyer verteilen und plakatieren, um zu einer Kundgebung einzuladen. Was ist zu beachten?
Auf Flyern und Plakaten muss ein*e „Verantwortliche*r im Sinne des Presserechts“ mit Vornamen, Nachnamen und Anschrift angegeben werden. Das Verteilen von (Werbe-)Flyern ist in Berlin genehmigungspflichtig, und oft werden auch politische Flyer so behandelt.
Es gibt aber Gerichtsurteile, die sie als genehmigungsfrei einstufen. Der Einwurf von Flyern in Briefkästen mit einem „Keine Werbung“-Sticker ist nicht erlaubt, wird aber in den seltensten Fällen Konsequenzen nach sich ziehen, wenn es sich um ein Thema wie Verdrängung handelt, das alle Mieter*innen in Berlin betrifft, und wenn es nicht zu oft hintereinander passiert. Haustürgespräche, bei den Flyer verteilt werden, sind durch Vermieter*innen nicht zu verhindern. Sie sind vom Recht der Mieter*innen auf Besuch abgedeckt.
Plakate können, wenn sie nicht zu groß sind, problemlos an Hausfassaden und -türen mit Tesafilm angebracht werden. Das Plakatieren mit Kleister im öffentlichen Raum ist genehmigungspflichtig.
Wir wollen eine Kundgebung vor unserem Haus durchführen. Müssen wir das bei der Polizei anmelden?
Ja. Diese Anmeldung heißt ‚Anzeige‘, und sie ist keine Bitte um um Erlaubnis, sondern eine Information an die Polizei, dass die Kundgebung stattfinden wird. Diese unterliegt dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und muss weder durch die Behörden genehmigt werden, noch können diese sie ohne Weiteres einschränken oder verbieten. Die Anzeige gibt der Polizei jedoch die Gelegenheit, den Charakter der Kundgebung einzuschätzen. Das schließt eine sogenannte Rechtsgüterabwägung ein: die Ausübung der Versammlungsfreiheit wird zum Beispiel gegen das Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit abgewogen. Dabei können aus Sicht der Polizei Einschränkungen nötig werden. Sollte das der Fall sein, wird sie zu einem sogenannten Kooperationsgespräch einladen, damit strittige Punkte besprochen und geklärt werden können. Eine Kundgebung darf frühestens 48 Stunden nach erfolgter Anzeige öffentlich beworben werden.
Was passiert bei einem Kooperationsgespräch?
Bei dem Gespräch steht ihr auf Augenhöhe mit der Polizei, die dazu verpflichtet ist, sich versammlungsfreundlich zu verhalten, und nach Wegen zu suchen, um die Kundgebung gemäß euren Wünschen stattfinden zu lassen. Ihr seid nicht verpflichtet, Anweisungen, die eure Kundgebung betreffen, zu akzeptieren. Das ist Gegenstand von Verhandlungen, bei denen ihr entscheiden könnt, wo ihr Kompromisse machen wollt, und wo nicht. Bereitet euch auf das Kooperationsgespräch vor, indem ihr überlegt, welche Punkte aus Sicht der Polizei problematisch sein könnten, und an welchen Stellen ihr Kompromissbereitschaft zeigen könnt. Ihr solltet, wenn möglich, nach Kompromissen mit der Polizei suchen, aber auf die Punkte, die nicht verhandelbar sind, bestehen.
Welche Rechte und Pflichten hat der*die Versammlungsleiter*in?
Die Versammlungsleitung sollte spätestens 30 Minuten vor Beginn am Kundgebungsort eintreffen, und muss von Anfang bis Ende anwesend bleiben. Sollte sie aus irgendeinem Grund vor Ort ausfallen, ist ihre Funktion auf eine andere anwesende freiwillige Person übertragbar. Die Polizei muss darüber umgehend informiert werden. Mit ihr kommuniziert die Versammlungsleitung über sogenannte Kontaktbeamt*innen. Gegenüber den Teilnehmer*innen trägt sie die Verantwortung für den Verlauf der Kundgebung, aus Sicht der Polizei personifiziert sie deren Charakter. Die Versammlungsleitung ist verpflichtet, für einen „ordnungsgemäßen Ablauf“ zu sorgen und „ den friedlichen Verlauf“ zu unterstützen. Ansonsten “steuert“ sie die Kundgebung, behält das Programm im Blick und hält den Kontakt zu den Ordner*innen (siehe den Abschnitt „Ordner*innen“ im PDF). Sie hat das Recht, die Kundgebung jederzeit zu unterbrechen und zu beenden, und sie darf das Wort erteilen und entziehen (es hat sich aber bewährt, die Rolle der Versammlungsleitung von der der inhaltlichen Moderation von Redebeiträgen zu trennen). Auch darf sie den Teilnehmer*innen Ansagen machen, welche diese zu befolgen haben, und sie darf Personen, „die die Ordnung der Versammlung erheblich stören, aus der Versammlung ausschließen“. Zwangsmittel darf sie dazu nicht anwenden. Damit muss sie die Polizei beauftragen. Die Versammlungsleitung beendet die Kundgebung mit einem für alle hörbaren „Die Kundgebung ist jetzt beendet!“. Sie wird damit von ihrer Verantwortung für die Kundgebung entbunden.
Muss die Versammlungsleitung die deutsche Staatsbürger*innenschaft haben?
Weder die Versammlungsleitung, noch die Person, welche die Kundgebung anmeldet, müssen deutsche oder EU-Staatsbürger*innen oder volljährig sein. Ordner*innen müssen volljährig sein.
Dürfen wir auf unserer Kundgebung ein Musik- oder anderes Kulturprogramm unterbringen?
Ja. Allerdings darf der Charakter der Kundgebung als politische Versammlung im Sinne des Rechts auf Versammlungsfreiheit nicht in den Hintergrund treten. Eine Aufteilung in zwei Drittel der Zeit für politische Redebeiträge und ein Drittel für musikalisches oder anderweitig kulturelles Programm hat sich als unproblematisch herausgestellt. Achtung: das Abspielen von nicht-GEMA-freier Musik in der Öffentlichkeit ist grundsätzlich vergütungspflichtig.
Dürfen wir Tische für Kaffee und Kuchen aufstellen?
Aufbauten jeder Art (Bühnen, Tische, Stühle usw.) sind eigentlich nur Teil einer Kundgebung, wenn sie der unmittelbaren Meinungsäußerung dienen (zum Beispiel ein Info-Tisch mit Flyern). Alles, was darüber hinausgeht, muss zuvor mit den Behörden ausgehandelt werden, und bedarf einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis. Zeltaufbauten sind auch nicht erlaubt, außer, sie schützen die für die Kundgebung notwendige Technik. Ähnliches gilt für Stühle. Sie sind nur als Hilfsmittel zugelassen, wenn Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung an der Versammlung teilnehmen, und dürfen auch nur von diesen benutzt werden. Ob Beamt*innen vor Ort ungenehmigte Tische dulden, hängt von ihrer Kulanz ab. (für mehr Infos siehe den Abschnitt „Zu Logistik und Hilfsmitteln“).
Müssen wir abweichende politische Meinungen auf unserer Kundgebung tolerieren?
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass auch eine „kritische Teilnahme“ an einer Versammlung durch das Versammlungsrecht abgedeckt ist. Die Teilnahme an einer Versammlung setzt keine Unterstützung des Versammlungsziels voraus. Nur, wenn Kritiker*innen der Inhalte der Versammlung zu Störer*innen im oben beschriebenen Sinne werden, können sie ausgeschlossen und mithilfe der Polizei entfernt werden.
Wir planen eine Demonstration. Gelten dieselben Bestimmungen wie für eine Kundgebung?
Eine Kundgebung ist eine stationäre, eine Demonstration eine sich fortbewegende Versammlung. Bei der Anzeige einer Demonstration müssen der Streckenverlauf und die gewünschten (Zwischen-)Kundgebungsorte angegeben werden. Für den Streckenverlauf reicht die Angabe von Straßennamen, aber es empfiehlt sich eine genauere Beschreibung, z.B. Straße, Hausnummer und Angaben wie „auf dem Gehweg“ oder „auf der Straße“ etc.. Je mehr Interpretationsspielraum der Polizei überlassen wird, umso leichter kann sie andere als die gewünschten Orte zuweisen.
Ist eine Demonstration innerhalb der Bannmeile verboten?
Die offizielle Bezeichnung für die „Bannmeile“ ist „befriedeter Bezirk“. Für den befriedeten Bezirk rund um Bundestag und Bundesrat gilt: Versammlungen sind nicht nur anzeige-, sondern ausnahmsweise auch genehmigungspflichtig, und der oder die Präsident*in der jeweiligen Institution kann die Genehmigung verweigern. Soll eine Versammlung im befriedeten Bezirk des Bundestags oder Bundesrats stattfinden, sollte parallel zur Anzeige bei der Polizei auch eine an das Bundesinnenministerium ergehen. Für das Berliner Abgeordnetenhaus gilt, dass eine dort angezeigte Versammlung lediglich zu den Sitzungszeiten beschränkt oder verboten werden kann.
Dürfen wir eine Kundgebung oder Demonstration auf öffentlich zugänglichem Privatgelände, also dem Innenhof einer Wohnsiedlung, dem Parkplatz eines Supermarkts oder in einer Shoppingmall durchführen?
Ja, wenn dieses Privatgelände öffentlich betretbar ist. Das Anzeigeverfahren für solche Versammlungen verläuft wie bei jeder anderen Versammlung auch. Einzig der Versammlungsort sollte unbedingt so genau wie möglich angeben werden. Für Versammlungen auf solchen Privatgrundstücken empfiehlt sich außerdem ein begrenzter Zeitrahmen von zwei Stunden, weil dieser in Abwägung mit der Beeinträchtigung der Interessen der Privateigentümer*innen als eine verhältnismäßige Einschränkung erscheint.