Mieter*innenschutz als Glückssache

Mit der Umwandlungsverordnung für Milieuschutzgebiete begann eine Zeit der Erwartung für Mieter*innen: Die Stadt kauft sich zurück! Doch das Vorkaufsrecht der Bezirke ist durch Spekulationspreise stark eingeschränkt – und manchen fehlt der politische Wille, es auszuüben.

Zwischen 2015 und 2020 hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Vorkaufsrecht bisher am häufigsten ausgeübt, gefolgt von Neukölln und Tempelhof-Schöneberg. In Lichtenberg gab es einen Vorkauf und in Charlottenburg-Wilmersdorf keinen. Gibt es Gründe, warum manche Bezirke das Vorkaufsrecht bisher nicht oder nur zögerlich gezogen haben?

Ein einfacher Grund lässt sich sofort finden: Nicht alle Bezirke haben Milieuschutzgebiete ausgewiesen. In Steglitz-Zehlendorf und Marzahn-Hellersdorf zum Beispiel gibt es keine. Spandau hat 2020 Voruntersuchungen für ein Gebiet eingeleitet. Lichtenberg hat seit 2019 ein Milieuschutzgebiet. Der Berliner Mieterverein führt eine Straßenliste, auf der Mieter*innen nachsehen können, ob ihr Haus in einem sozialen Erhaltungsgebiet liegt.

Wirtschaftlich arbeiten und die Regeln einhalten

Vor allem aber geht es ums Geld. Die Entscheidung, das Vorkaufsrecht auszuüben, fällt nach einem Prüfverfahren. Dabei untersuchen die sogenannten Dritten – landeseigene Wohnungsgesellschaften oder auch Genossenschaften, Stiftungen oder Mietergemeinschaften – ob sie den Kaufpreis tragen und gleichzeitig die Regeln des Milieuschutzes einhalten können. Also, ob die zulässigen Mieten langfristig den Kaufpreis refinanzieren werden. Eine weitere Rolle spielt die Bausubstanz, mit welchen Kosten für Instandhaltung oder gar Grundsanierung zu rechnen ist. Aus einer Antwort des Senats auf eine Anfrage des Abgeordneten Sebastian Czaja (FDP) geht hervor, dass die landeseigenen Wohnungsgesellschaften oft nicht bereit waren, ein Haus zu übernehmen, weil die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben war. Da die Bezirke ihr Vorkaufsrecht immer nur zugunsten Dritter ausüben,verzichten sie oft auf das Vorkaufsrecht. Dies gilt besonders für Bezirke, in denen Spekulationspreise ausschließen, dass ein Vorkauf wirtschaftlich gerechtfertigt werden kann.  

Die Bezirke könnten mehr tun

Möglich ist aber auch, dass der politische Wille fehlt. In Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es seit September 2018 zwei Milieuschutzgebiete („Mierendorff-Insel und „Gierkeplatz“), in denen seither auch Häuser verkauft wurden. Bis einschließlich 2020 hatte der Bezirk allerdings nur zwei Mal geprüft, ob er das Vorkaufsrecht anwenden kann und zwei Abwendungsvereinbarungen mit Käufer*innen getroffen. Im dritten Bericht des Senats über die Wahrnehmung von Vorkaufsrechten hieß es, „gemäß Mitteilung aus dem Bezirk“ seien Vorkäufe in nur sehr wenigen Fällen rechtlich möglich gewesen. Darüber hinaus habe Charlottenburg-Wilmersdorf geltend gemacht, kein Personal und keine „erforderlichen konzeptionellen und organisatorischen Voraussetzungen“ gehabt zu haben. Mittlerweile seien die nötigen Personalstellen im Haushalts- und Stellenplan berücksichtigt und „wurden bzw. werden im Laufe besetzt“. 

Allerdings hatte der Senat bereits 2017, ein gutes Jahr, bevor Charlottenburg-Wilmersdorf seine ersten beiden Milieuschutzgebiete auswies, sein „Konzept für die Nutzung von Vorkaufsrechten nach dem Baugesetzbuch in Berlin“ beschlossen – auch als organisatorische Handreichung für die Bezirke. Charlottenburg-Wilmersdorf hätte sich also darauf vorbereiten können, die Mieter*innen in seinen sozialen Erhaltungsgebieten vor Verdrängung zu schützen.

Dass es beim Milieuschutz in  Charlottenburg-Wilmersdorf knirscht, zeigt auch die aktuelle Debatte: Während die Mieterwerkstatt Charlottenburg seit Jahren für mehr  Erhaltungsgebiete über einen Einwohner*innenantrag kämpft, reagiert der Bezirk in verhaltenem Tempo.

Uneinheitliche Information der Mieter*innen

Ob die Bewohner*innen verkaufter Häuser erfahren, dass in ihrem Bezirk das Vorkaufsrecht geprüft wird, hängt offenbar auch vom politischen Willen ab. Das „Konzept für die Nutzung von Vorkaufsrechten nach dem Baugesetzbuch in Berlin“ enthält weder Anregungen noch Vorschriften, wie die Mieter*innen zu informieren seien. Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln schreiben – meistens, nicht immer – die Mieter*innen an und laden zu Info-Veranstaltungen ein, die allerdings in Corona-Zeiten kleiner ausfallen müssen als zuvor. Aus Datenschutzgründen darf übrigens kein Bezirksamt den Namen des Käufers oder der Käuferin nennen – hier können sich Mieter*innen an Rosa-Luxemburg-Stiftung wenden, die bei der Recherche hilft. Für den Kaufpreis gilt ähnliches: Er unterliegt dem Geschäftsgeheimnis. Die Initiative Frag den Staat setzt sich hier für mehr Transparenz ein.

In Pankow monierten Mieter*innen die Informationspolitik des Bezirksamts. Hier hatte zuletzt der Verkauf der  Paul-Robeson-Straße 38 für große Verärgerung gesorgt, weil erst im März 2020 bekannt wurde, dass der Bezirk seit November 2019 vom Verkauf des Hauses gewusst hatte. Das Prüfverfahren für einen Vorkauf soll wegen Personalmangels gescheitert sein, über eine Abwendungsvereinbarung wurde nicht verhandelt. Das Mieterforum Pankow sprach vom Pankower Standard und kritisierte den damaligen Baustadtrat Vollrad Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen): „Obgleich der Bezirk ein Hotspot des Immobilienhandels ist, muss sich Baustadtrat Kuhn (B90/Grüne) vorhalten lassen, dass sein Amt im Vergleich zu anderen Bezirken bei der Durchführung der Vorkaufsrechtsverfahren die erforderlich Zielstrebigkeit vermissen lässt.“ Das erste Opfer dieses Amtsversagens, vermutete die Initiative, „könnte das Geburtshaus Maja sein.“ So kam es auch: Die neue Eigentümerin gefährdet mit ihren Forderungen die Existenz der Hebammen.

Vorkauf zu Mondpreisen oder bessere Gesetze?

Ob es sinnvoll ist, das Vorkaufsrecht um jeden Preis auszuüben, ist umstritten. Die Initiative „23 Häuser sagen nein“ schlägt vor, das Vorkaufsrecht zu ändern und es gemeinnützigen Dritten zu ermöglichen, Häuser zum Verkehrswert anstatt zu Spekulantenpreisen vorzukaufen. Die Initiative „Unser Block bleibt“ fordert, den Vorkauf zum Ertragswert auszuüben.

Mit Abwendungsvereinbarungen soziale Erhaltungsgebiete zu schützen, ist jedenfalls sehr kurz gedacht. Im Idealfall gelten sie über einen Zeitraum von 20 Jahren – dann dürfen Eigentümer*innen umwandeln, modernisieren, Fahrstühle anbauen – was immer benötigt wird, um die letzten Mieter*innen aus ihren Wohnungen zu vertreiben.

Es ist auch anzunehmen, dass bereits heute hart über Abwendungsvereinbarungen verhandelt wird. Die Ergebnisse der Abwendungsvereinbarungen waren lange Zeit nicht öffentlich einsehbar. Das lag Bezirksamtsmitarbeiter*innen zufolge an der Überlegung, diese gegenüber Spekulanten unter Verschluss zu halten. Mittlerweile sehen sie diese Idee als überholt an.

Was tatsächlich in Abwendungsvereinbarungen und Abwendungserklärungen steht – letztere sind die Vorstöße der Eigentümer*innen –, ermittelte deshalb die Initiative „Frag den Staat“. Sie forderte über das Instrument des Informationsfreiheitsgesetzes Auskünfte an – jede*r Mieter*in in einem entsprechenden Haus kann sich an sie wenden. Grundsätzlich kann allerdings jede Mietpartei gegen eine Gebühr die Abwendungsvereinbarung einsehen.

Praktischer wäre selbstverständlich, die Bezirke wären nicht nur auskunftspflichtig, sondern müssten wiederum die Vermieter*innen verpflichten, Abwendungsvereinbarungen und Abwendungserklärungen zum Bestandteil ihrer Mietverträge zu machen. So wüsste auch jede*r Neumieter*in, in welche Situation er oder sie sich überhaupt begibt. Dasselbe sollte auch bei der Vermietung von Eigentumswohnungen gelten – Mieter*innen sollten genau wissen, in welche Mietsituation sie einsteigen.

Links

Die Zahlen stammen aus den Berichten über die Wahrnehmung von Vorkaufsrechten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen.

Diese Recherche beruht auf Fragen der Initiative GloReiche Nachbarschaft:
Welcher Bezirk hat wann und wie oft das Vorkaufsrecht für wie viele Häuser/Wohnungen gezogen?
Gibt es Gründe, warum manche Bezirke das Vorkaufsrecht bisher nicht oder nur zögerlich gezogen haben?
Handhaben alle Bezirke die Mieter*inneninformation gleich oder gibt es da Unterschiede (Anschreiben des Bezirksamt, dass das Haus verkauft wurde, Einladung zu einer Infoveranstaltung etc.)?
Falls das nicht gleich gehandhabt wird, woran liegt das? Gibt es Möglichkeiten/Ansatzpunkte das Berlinweit zu vereinheitlichen?
Warum erhalten betroffene Hausgemeinschaften keine Information zur Kaufpreishöhe? 
Was spricht dagegen, die Abwendungsvereinbarung den Mieter*innen zugänglich zu machen (gebührenfrei)?
Es ist zwar möglich, Abwendungsvereinbarungen über das IFG zu erhalten, dafür wird aber eine Gebühr erhoben.