Auf der Veranstaltung „Was tun gegen den Mietenwahnsinn?“ haben vier Spitzenkandidat*innen und ein Fraktionsvorsitzender die Fragen der mietenpolitischen Initiativen beantwortet. Wir haben uns pro Politiker*in eine Aussage herausgesucht, und sie einem Faktencheck unterzogen.

„Ich glaube aber dass wir mittlerweile, nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008, eine Konzentration von Kapital in Grund und Boden und in Wohnungen haben, die den gesellschaftlichen Zusammenhang zerstört und […] ungesund ist.“

Stimmt das?

Ja. Ein Anfang 2017 erschienener Bericht der damaligen UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen Leilani Farha fokussiert auf die zunehmende Rolle und Dominanz der Finanzwirtschaft im Wohnungswesen. Diese wird in dem Bericht unter dem Schlagwort ’Finanzialisierung von Wohnraum‘ als eine historische Transformation der weltweiten Investitionstätigkeit, und in der Konsequenz der Wohnungs- und Finanzmärkte verstanden. (Report of the Special Rapporteur on adequate housing, S.3) Zunehmend werde mit Wohnraum als einer ’Ware erster Wahl‘ auf internationalen Finanzmärkten spekulativ gehandelt. (ebd.) Diese spekulative Investition von Kapital in Wohnraum trenne ihn zunehmend von seiner gesellschaftlichen Funktion, ein Ort zum sicheren und würdevollen Leben zu sein, und unterminiere dadurch das Menschenrecht auf Wohnen. (ebd.) Der Bericht knüpft an einem älteren Bericht aus dem Jahre 2012 an, in dem der Trend hin zur Finanzialisierung von Wohnraum durch die Abkehr von staatlich geförderten Sozialwohnungs-Programmen, und einer Hinwendung zu einem Wohnungswesen ermutigt, das dem freien Markt überlassen wird.

Der Bericht zitiert auf S.3 eine Studie aus dem Jahre 2016, derzufolge fast 60% der weltweiten Vermögenswerte in Form von Immobilien existierten, von denen wiederum 75% Wohnimmobilien seien. Der geschätzte Gesamtwert der weltweit existierenden Immobilien (Wohn- und andere Immobilien zusammen) belaufe sich zu dem Zeitpunkt auf etwa 217 Billionen Dollar. Auch der Handel mit Häusern und Boden boome, so der Bericht: Zwischen 2013 und 2014 sei in den top 100 sog. Global Cities das Volumen von Unternehmenskäufen größerer Grundstücke um 40% von 600 Milliarden auf 1 Billion Dollar gestiegen. Das betreffe insbesondere sog. “Hedge Cities“: Städte, die das globale Kapital als (vermeintlich) sichere Anlagehäfen befürwortet, und in denen es sich in Form von Investitionen in Immobilien konzentriert. Die sozialen Folgen in diesen Städten seien steigende Mieten und Verdrängung der niedrig- und Durchschnitts-Verdiener*innen and die Ränder und Aussenbezirke, wo sie schlechter an Arbeitsmöglichkeiten und gesellschaftliche Dienstleistungen angebunden sind.

In Deutschland hat sich die Polarisierung der Vermögensverteilung seit der Finanzkrise erhöht. (Alberts/Bartels/Schularick 2020: The Distribution of Wealth in Germany 1895-2018. EconTribute Policy Paper 001, insb. S. 39 ff.) Der deutsche Immobilienmarkt ist zudem kurz nach dem Ausbruch der Krise von internationalen Investor*innen entdeckt worden. Das Magazin zum Geschäftsbericht der Deutschen Wohnen von 2010 schreibt:

„Die Investitionstätigkeit auf dem Wohnimmobilienmarkt in Deutschland blieb in den letzten Jahren auf einem niedrigen Niveau und die Preise für Wohneigentum schwankten kaum. Diese Stabilität schätzen auch institutionelle Investoren, die – bei geringerer Risikobereitschaft – von den guten Cashflows, der niedrigen Volatilität und den stabilen Renditen profitieren wollen. Damit bleibt der deutsche Wohnungsmarkt insbesondere in Metropolregionen ein attraktives Investment.“

Deutsche Wohnen Magazin zum Geschäftsbericht 2010, S.12

Über Berlin steht in dem Heft:

„Seit einiger Zeit interessieren sich mehr und mehr ausländische Investoren für den attraktiven Berliner Wohnimmobilienmarkt. Eine Investition in diesen Markt rechnet sich und bringt schon jetzt hohe Renditen.“

Deutsche Wohnen Magazin zum Geschäftsbericht, S.24

Auf Konzentrationseffekte von Kapital im Bereich der Grundstücke und Wohnungen in Berlin als Hedge City lässt die deutliche Ausweitung der Bestände großer Immobilienkonzerne schließen. Allein die Bestände der beiden größten und börsennotierten Wohnungsunternehmen Vonovia und Deutsche Wohnen haben sich zwischen 2010 und 2020 mehr als verdoppelt: Bei der Deutschen Wohnen von 21.598 (Deutsche Wohnen Geschäftsbericht 2010, S.30) auf 114.200 Wohnungen (Deutsche Wohnen Geschäftsbericht 2020, S.39), bei der Vonovia (ehemals Deutsche Annington) von 13.289 in 2010 (Deutsche Annington Geschäftsbericht 2010, S.96) auf 43.171 in 2020 (Zusammengefasster Lagebericht Vonovia, S.76).

Hier geht’s zum Videomitschnitt der Veranstaltung „Was tun gegen den Mietenwahnsinn?“.